Alle Rechte vorbehalten
© 2020 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel
Projektleitung: Jeannine Wanner
Korrektorat: Dominique Thommen
Gestaltung: Fabienne Steiger
eISBN 978-3-7245-2437-3
ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2412-0
Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom
Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag
für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Für Reto, meinen Kreativitätsaufrechterhalter.
Inhalt
Prolog
Und zu den Jüngern sprach er: Es war einmal ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter. Der wurde bei ihm verklagt, er verschleudere sein Vermögen.
Da rief er ihn zu sich und sagte: Was höre ich da über dich? Leg die Schlussabrechnung vor, denn du kannst nicht länger Verwalter sein!
Der Verwalter aber sagte sich: Was soll ich tun, da mein Herr mir die Verwaltung wegnimmt? Zu graben bin ich nicht stark genug, und zu betteln schäme ich mich. Ich weiss, was ich tun werde, damit sie mich, wenn ich als Verwalter abgesetzt bin, in ihre Häuser aufnehmen.
Und er rief die Schuldner seines Herrn, einen nach dem andern, zu sich und sagte zum ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?
Der sprach: Hundert Fass Öl.
Er aber sagte zu ihm: Da, nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib schnell fünfzig!
Darauf sagte er zum zweiten: Und du, wie viel bist du schuldig?
Der sagte: Hundert Sack Weizen.
Er sagte zu ihm: Da, nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Ja, die Söhne dieser Welt sind im Verkehr mit ihresgleichen klüger als die Söhne des Lichts! Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit man euch, wenn er ausgeht, aufnimmt in die ewigen Wohnungen.
Die Bibel (Zürcher Bibelübersetzung), Evangelium nach Lukas, Kapitel 16, Verse 1 bis 9.
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SCHEISSEN IST ARBEIT. Diese Weisheit war in weissen altdeutschen Lettern auf der Front seines schwarzen Kapuzenshirts gedruckt. Die Mischung aus Linksautonomen und Künstler fiel durch laschen Gang und nicht vorhandene Körperspannung auf. Das müde oder zugekiffte und gealterte Mitglied der unteren Gesellschaftsschicht betrat Tram Nummer 4 an der Station Helmhaus, setzte sich mit einem kraftlosen Plumpsen vis-à-vis vor sie und sortierte seine zerschlissenen Dockers zwischen ihre modischen High Heels aus glänzendem Leder. Das Bouquet aus billigem Feldschlösschen-Bier mit der strengen Note unvollständiger Körperhygiene überwältigte ihr Parfüm und breitete sich nicht nur bis zu ihrer Nase aus, sondern bohrte sich direkt in ihr Erinnerungszentrum. Dort wirkte es auf die schmucke Frau im Businessdress und mit soeben frisch frisierten Haaren aufregend.
Eine mit verkratzten Nieten besetzte Kunstlederjacke, die er über seinem Shirt trug und zusammen mit allen anderen Kleidungsstücken und Accessoires den Zeitstrahl seines Niedergangs präsentierte, war von durch Schmutz verfärbte Aufnäher übersäht. WIDERSTAND HEISST LEBEN, war eine der Weisheiten und weckte Erinnerungen an ihr eigenes, erstes Leben, als sie Zürich noch als «Scheissdorf» und «nach Putzmittel stinkende Bankendeponie» bezeichnete, «die durch Reichtum und Dekadenz total verblödet ist».
Ein Grinsen überkam ihr Gesicht, denn auf Höhe der linken Brust des Mannes prangte ein weiteres Stoffkunstwerk; es zeigte Polizisten, wie diese auf der Flucht vor Autonomen übereinander stürzten. Darauf war zu lesen: FESTE FEIERN, WENN SIE FALLEN.
Fionas gekitzeltes Erinnerungszentrum liess jetzt einen bissigen Flashback von der Kette. Sie blickte nach rechts aus dem Fenster, um ihrem Kurzzeitgedächtnis freien Lauf einzuräumen. Ein Comedian, der es vor wenigen Tagen in einer Sendung des Schweizer Fernsehens genau auf solche Typen abgesehen hatte:
«Von keinem seiner Eidgenossen hat der Schweizer ein so klares Bild wie von den Linksautonomen. Er pflegt angeblich die freie Liebe, obwohl doch im Hauptberuf schwuler Künstler und einsamer Strassenmusiker. Vom Morgen an kippt er sich Dosenbier in den Rachen, liegt den ganzen Tag zugekifft im Park, bevor er – nach der Mittagspause von 11 bis 18 Uhr – zum Abendessen eine Packung selbstgedrehte