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Die Machenschaften der Linda B.
Sie wussten nichts von ihrer Schuld
Mißmutig ging Linda Böhnig durch die luftig-hellen Flure der Klinik. Von beinahe jedem Fenster aus hatte sie einen herrlichen Blick auf die träge dahinfließende Mosel und die beeindruckenden Weinberge, die an beiden Ufern aufragten, doch für diese Schönheiten hatte sie im Moment kein Auge. Die vielen leeren Zimmer bedrückten sie. Wie anders war das noch vor einem Jahr gewesen! Da hatte hier reges Leben geherrscht. Doch Karsten hatte das alles zerstört.
Nun ja, Dr. Karsten Böhnig gehörte der Vergangenheit an. Allerdings machte das ihre Probleme kaum geringer.
Ihre hohen Absätze klapperten auf dem edlen Marmorboden der Eingangshalle, dann trat sie durch die große Doppeltür ins Freie. Kalte Winterluft umfing sie und ließ sie trotz ihrer Pelzjacke frösteln. Rasch schloß sie die Tür ab, dann bestieg sie ihren rubinroten Sportwagen, ließ den Motor aufheulen und fuhr schließlich in rasantem Tempo die schmale, gewundene Privatstraße hinunter.
Eine knappe halbe Stunde später erreichte sie das exklusive Burgrestaurant, wo sie mit ihrem langjährigen Freund Oskar Pellendorf verabredet war.
Linda hatte das Restaurant kaum betreten, als Oskar ihr auch schon entgegenkam, um ihr die Pelzjacke abzunehmen. Ein Blick in ihr Gesicht verriet ihm alles.
»Du warst also wieder in der Klinik oben«, meinte er, während er ihr einen Stuhl zurechtrückte.
Mit einer zornigen Handbewegung legte Linda ihre schmale Lederhandtasche auf den Tisch. In diesem Augenblick wirkte sie wie ein junges Mädchen, dabei hatte sie vor zwei Wochen ihren fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Offiziell war sie achtunddreißig geworden, und wer sie nicht ausgesprochen gut kannte, nahm ihr das unbesehen ab. Sie tat allerdings auch etwas, um so auszusehen – und sie hatte das nötige Kleingeld dafür. Ihr regelmäßiges Fitneßtraining erhielt ihr die fast mädchenhafte Figur, und eine namhafte Kosmetikerin verdiente fürstlich an dem, was sie Linda an Masken, Lotions und dezenten Kosmetika auf das Gesicht zauberte. Dazu suchte sie einmal wöchentlich ihren Friseur auf, der Olaf Heine hieß, sich aber Coiffeur Jacques nannte und dafür ein entsprechend höheres Honorar berechnete.
»Es macht mich ganz krank, wenn ich nur daran denke, was Karsten aus meiner Klinik gemacht hat«, entgegnete Linda jetzt auf Oskars Feststellung von vorhin. »Unser Ruf ist weit über die Grenzen von Rheinland-Pfalz hinausgedrungen, aber dieser Stümper hat es tatsächlich geschafft, mich zu ruinieren.«
Mit einem verhaltenen Schmunzeln betrachtete Oskar das sündhaft teure Brillant-Collier, das sie zu einem extravaganten Lagerfeld-Modellkleid trug. Das platinblonde Haar war offensichtlich frisch gestylt, und das, was sie an Rouge, Wimperntusche, Lidschatten und Lippenstift im Gesicht trug, hatte sie vermutlich ein halbes Vermögen gekostet – von der exklusiven Duftwolke, die sie dezent und unaufdringlich umschmeichelte, ganz zu schweigen. Alles in allem war Linda Böhnig meilenweit vom Ruin entfernt.
»Übertreibst du da nicht ein bißchen?« erkundigte sich Oskar. Er war der einzige, der sich eine solche Frage erlauben durfte.
Linda winkte ab. »Lassen wir dieses Thema. Es macht mich nur aggressiv.«
Ein Ober trat nahezu lautlos an den Tisch, nahm die Bestellung auf und entfernte sich dann diskret.
Linda beugte sich ein wenig zu Oskar hinüber.
»Und? Hast du etwas herausbekommen?« wollte sie in leisem Ton wissen.
Ein überhebliches Lächeln er-schien auf Oskars Gesicht.
»Natürlich«, erklärte er mit Nachdruck. »Ich bin nicht umsonst der beste Privatdetektiv Deutschlands.«
Lindas Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. »Über mangelndes Selbstbewußtsein kannst du wirklich nicht klagen.«
Oskar grinste, dann zog er ein schmales Blatt Papier aus der Innentasche seines Jacketts.
»Voilá, Madame – die zehn besten Frauenärzte Deutschlands – alle ledig, verwitwet oder geschieden. Petri Heil.«
»Laß diese vulgäre Redensweise«, wies Linda ihn zurecht.
»Mein liebes Kind, das ist nicht vulgär. Mit Petri Heil wünscht man einem anderen Anglerglück. Und das ist es doch, was du willst: Dir einen dieser Ärzte angeln, damit deine Klinik einen neuen Aufschwung erlebt.«
Es gelang Oskar nicht, Linda aus ihrer Gelassenheit zu reißen. Ohne etwas auf seine Worte zu erwidern, griff sie nach der Liste und begann, sie zu studieren. Es waren tatsächlich durchweg Namen, die ihr geläufig waren.
Der Ober servierte den Aperitif und entfernte sich wieder, während Linda die Liste weglegte und an ihrem Martini nippte.
»Und?« wollte Oskar schließlich wissen. »Ist keiner dabei, der dir zusagt?«
Linda lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und trommelte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte.
»Dr. Robert Daniel«, antwortete sie dann nur.
Oskar nickte. »Das dachte ich mir schon. Er dürfte von allen Ärzten, die auf dieser Liste stehen, den besten Ruf genießen. Allerdings fürchte ich, daß du gerade mit ihm die größten Probleme haben dürftest. Soweit ich bis jetzt informiert bin, hat er diese Praxis in Steinhausen bereits zu Lebzeiten seiner Frau betrieben. Außerdem ist er seit einiger Zeit Direktor dieser Waldsee-Klinik, die mehr oder weniger auf sein eigenes Betreiben hin gebaut wurde. Ich schätze, der gute Dr. Daniel dürfte nur schwer aus diesem bayrischen Dorf wegzubringen sein.«
»Das laß nur meine Sorge sein«, meinte Linda selbstbewußt. »Ich will über diesen Mann alles wissen und zwar so schnell wie möglich.«
»Also gestern schon«, erklärte Oskar sarkastisch, dann nickte er. »Gut, ich werde mein Möglichstes tun.« Er warf einen Blick auf seinen Taschenkalender, rechnete kurz nach und fuhr dann fort: »Spätestens in zwei Wochen wirst du seinen gesamten Lebenslauf auf dem Tisch haben.«
*
Oskar Pellendorf hielt sein Versprechen. Auf den Tag genau zwei Wochen später verabredete er sich wieder mit Linda – diesmal jedoch in ihrer Villa.
»Also, was hast du herausgefunden?« fragte sie, während sie im Salon Platz nahmen, dann schlug sie mit einer graziösen Bewegung die Beine übereinander.
Oskar holte ein umfangreiches Dossier aus seiner Aktentasche.
»Möchtest du es lesen, oder soll ich dir das Wichtigste erzählen?« erkundigte