Die große Gauklerin. Brachvogel Carry. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Brachvogel Carry
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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      Die große Gauklerin / Ein Roman aus Venedig

      1

      Wie der Graf Ettore Priuli die Treppen des Hotel Danieli herunterging, kam er sich gedemütigt und lächerlich vor. Er mußte sich Gewalt antun, um die sorglose Haltung, die scharmante Liebenswürdigkeit des Gesichtsausdruckes zu wahren, die ganz Venedig an dem schönen Priuli kannte. Trotz aller Anstrengung blieb aber sein Lächeln gezerrt, und seine Augen funkelten in trübem Dunkel, wie von verhaltenem Zorn. Er ging ganz langsam, Stufe für Stufe, als wolle er so lange wie möglich den Augenblick verzögern, der ihn aus der dämmerigen Kühle, aus der verantwortungslosen Untätigkeit des scheidenden Besuchers hinausführte auf die Riva degli Schiavoni. Er verzögerte sich geflissentlich, blieb einmal stehen, um von seinem weißen Sommeranzug ein paar Stäubchen wegzublasen, die gar nicht vorhanden waren, betrachtete dann wieder aufmerksam, mit leicht gerunzelter Stirn seine hellen Schuhe, als ob er an ihnen einen Mangel entdeckte, obschon sie so tadellos waren, als hätte der Schuster sie erst vor einer Stunde abgeliefert. Als die Treppe dann endlich doch hinter ihm lag, wechselte er noch, scheinbar interessiert, mit dem ergebend dienernden Portier ein paar Redensarten über das schöne Weiter und das gute Trinkwasser, das man, dem Himmel sei Dank! in Venedig hatte, wenn es sich auch freilich nicht mit dem Wasser von Rom vergleichen ließe. Nun war aber auch die letzte Möglichkeit geschwunden, noch länger herumzutrödeln, und er stand draußen auf der Riva, die heiß und hell im Glanz eines Junitages dalag.

      Ettore Priuli zog einen kleinen, bunten Papierfächer aus der Brusttasche seines weißen Jacketts und begann sich zu fächeln, obgleich er die Hitze gar nicht stark empfand. Er fächelte sich nur gewohnheitsmäßig und weil es ihm angenehm war, den nervösen Aerger, den diese letzte Stunde ihm bereitet hatte, durch eine regelmäßige, wenn auch geringfügige Bewegung zu entladen. Er stand da, fächelte sich, biß ein paarmal die Unterlippe und fluchte in seinem Innern alle Flüche, deren die italienische Sprache fähig ist. Er stand, blickte unschlüssig bald vor sich hin, bald auf die Lagune, ob seine Gondel nicht käme. Zuckte ärgerlich mit den Achseln und hätte am liebsten über sich selbst gelacht; denn wie konnte er jetzt, da es just vier Uhr war, die Gondel erwarten, die er doch mit Vorbedacht erst für fünf Uhr bestellt hatte! Nun, dieser Nachmittag oder vielmehr diese eben abgelaufene halbe Stunde in dem eleganten Ecksalon des Hotel Danieli hatte ihn schwerer geschädigt als nur mit der Wartezeit auf eine Spazierfahrt, hatte ihm alles eingerissen, was schon so sicher aufgebaut schien, alle Zukunftshoffnungen vernichtet, deren Glanz ihn schon entzückt hatte, warf ihn, der sich bereits am Ziel glaubte, wieder ins Ungewisse zur Jagd nach dem Glück zurück, deren er doch schon recht müde war …

      Die Lagune lag starr und grau wie ein rätselvolles Ungeheuer aus östlicher Sage. Auf seinem durchsichtigen Rücken trug es als lichtes Mirakel Venedig, die Schöne, mit ihren weißen und orangefarbenen Palästen, ihren gewaltigen Kuppeln, ihren erzenen Helden, ihren marmornen Loggien und Sinnbildern und dem schwermütigen Flimmern ihrer Goldmosaiken, die gleich einem vom verschollenen Byzanz vergessenen Diadem ihr die Stirne umkränzen. Priuli sah abwesenden Blickes über die Lagune hin, sah in der Ferne den Canal Grande leuchten und den gigantischen, steinernen Leib von Santa Maria della Salute. Da überkam ihn ein plötzlicher Haß auf diese Stadt, auf seine Vaterstadt, die er sonst doch anbetete, wie jeder Venezianer sie anbetet. Sie erschien ihm klein, eng, schmutzig, übelriechend, ein Hemmnis aller Bewegungsfreiheit und aller Glücksmöglichkeiten. Wahrhaftig, anderswo, zum Beispiel in Rom, wäre ihm die letzte halbe Stunde nicht begegnet! Rom hatte eben seinen Hof, sein rauschendes Leben der Aristokratie, gleichviel ob sie sich zur schwarzen oder zur weißen bekannte, die Söhne römischer Adelsfamilien legten für den Snobismus ausländischer Millionen nicht bloß einen Titel, sondern auch eine weithin sichtbare Wirkung des Titels in die Wagschale, während die Venezianer nichts zu bieten hatten als das abgeschlossene Kastenleben der Provinzstadt. Wie sollte man hier je zu Geld und Wohlleben gelangen, da die reichen Mädchen sich hier immer nur auf der Durchreise befanden, um schließlich den adeligen Sohn irgendeiner europäischen Großstadt oder Weltstadt zu heiraten. Sein Vetter Carlo Priuli meinte freilich, es gäbe noch andere Dinge zum ersehnten Reichtum als die glänzende Heirat, aber Carlo war ja ein aus der Art geschlagener Priuli, der aus Deutschland und England seltsame, für Ettore ganz unverständliche Ideen mit heimgebracht hatte. Carlo war ja wahr und wahrhaftig Schiffsingenieur, wurde von der Regierung, die ihn schätzte, bald auf diese, bald auf jene Rheede geschickt, so daß er einmal in Spezia, einmal in Tarent, dann wieder in Venedig arbeitete, hatte auch schon einmal irgendeine Schraubenverbesserung erfunden, von der Ettore nichts verstand, und trug obendrein im Kopf Pläne und Anschauungen, für die Ettore sich nur insofern interessierte, als er sie belächelte. Nein, nein, Venedig war und blieb im Hintertreffen, und wer hier saß und sitzen mußte, konnte sich darauf gefaßt machen, noch öfters Worte zu hören, wie Miß Beaufort sie eben gesprochen hatte.

      Es fiel ihm jetzt ein, daß er doch nicht länger auf der Riva stehen konnte und sich fächeln. Er schlenderte also langsam, sich in den geizigen Schattenstreif drückend, den die Häuser warfen, nach der Piazetta und landete schließlich in einem der Cafés auf dem Markusplatz. Er bestellte sich ein Granito und fand mit Recht, daß der Markusplatz um diese Stunde sehr langweilig war. Als sich nun gar neben seinem Tisch drei Damen niederließen, die alsbald auf englisch rekapitulierten, was sie seit drei Tagen in Venedig gesehen hatten, stand er auf und ging angeekelt davon. Er konnte jetzt unmöglich Englisch hören … Er schlenderte wieder ziellos umher, erst durch die Frezzeria, dann durch die Merceria, stand unversehens vor der grauen, gebieterischen Kirche, in der sein Ahnherr, der große Priuli, den letzten Schlummer schlief. Es war lange, fast ein Jahrtausend her, daß der große Priuli unter den Lebenden gewandelt war, aber der Krieges- und Siegesruhm seiner Taten (wegen seiner Eroberung Kretas für die Republik Venedig hieß er »der Kretenser«!) hatte den Tod und die Jahrhunderte überdauert, und immer noch standen die Fremden ehrfürchtig vor dem Denkmal des Dogen Priuli, während sie die Grabsteine der anderen Dogen, die hier bestattet lagen, nur im Vorübergehen musterten.

      Ettore trat in die Kirche ein. Der Gegensatz zwischen der flimmernden Helle draußen und dem Halbdunkel hier war so groß, daß er eine Minute lang geblendet dastand und erst allmählich das Innere der Kirche, ihre Altäre, Säulen und Denkmäler unterscheiden konnte. Er ging auf seinen großen Ahnherrn zu, ließ sich auf einen kleinen, zerrissenen Strohsessel nieder, der da stand, und betrachtete das Denkmal aufmerksam, als sähe er's heute zum erstenmal. Es war ganz in der Art der übrigen Dogendenkmäler gehalten: ein hoher, länglicher Stein, auf dem, von einem Giebelfelde überragt, die ruhende Gestalt des Dogen sichtbar wurde. Eine fast verlöschte Inschrift verkündete auf lateinisch, daß die dankbare Republik ihrem großen Sohne dies Denkmal gestiftet habe zum ewigen Gedenken seiner Heldentaten und seines Ruhmes. Während Ettore dasaß, kamen etliche Fremde, ließen sich vom Kirchendiener die Geschichte des großen Priuli erzählen und die künstlerischen Schönheiten des alten Bildwerks preisen, und Ettore gab sich Mühe, bei diesem Vorgang den edlen Hochmut zu empfinden, den die Erinnerung an die Größe des eigenen Blutes wachruft. Er stellte sich vor, was die Fremden wohl sagen würden, wenn sie erführen, daß sie mit ihrem Aermel einen Nachkommen des großen Dogen streiften, wollte sich einreden, daß Blut von diesem Blut mehr wert sei als alle Millionen der Miß Beaufort, und daß er also darum über das amerikanische Fräulein nur verächtlich die Achseln zucken könne. Wie sehr er sich aber auch mühte, einen Zusammenhang zwischen sich und dem Ahnherrn herzustellen, – es gelang ihm nicht. Er fand keine Beziehung, die sie miteinander verband, denn schließlich hatte ihn auch aller Heldenmut und aller Ruhm des großen Dogen nicht vor der Niederlage bei der Amerikanerin schützen können. Er stand auf und ging wieder hinaus auf die Straße. Als ein Priuli fühlte er sich zwar immer noch erhaben über ganz Venedig, aber warum er sich so erhaben vorkam, wußte er im Augenblick nicht.

      Er ging wieder zurück zur Riva und wartete noch ein paar Augenblicke auf seine Gondel. Da fiel ihm ein, daß er ja auch eine Mietgondel nehmen könnte, und dieser Gedanke war ihm so angenehm, daß sein Aerger fast völlig geschwunden war, als er mit einem fremden Gondoliere über die Fahrt nach dem Lido verhandelte. O, das tat gut, jetzt geraume Weile mit sich allein, nicht beobachtet von Domestikengesichtern, auf den Wellen dahinzugleiten und Ordnung in die wirren Gedanken zu bringen. Er merkte jetzt mit Staunen, daß es vor allem der Gedanke an das neugierige, forschende Gesicht des eigenen Gondoliere gewesen war, der ihm diese letzte Stunde so peinlich gemacht hatte. Nun sprang er behend in die Mietgondel, deren Kissen freilich nicht so weich waren wie die der Priulischen Barke, deren schwarze Tuchverkleidung etwas fettig