Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754187548
Скачать книгу

       Eugenie Marlitt

       Reichsgräfin Gisela

      Inhaltsverzeichnis

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       9

       10

       11

       12

       13

       14

       15

       16

       17

       18

       19

       20

       21

       22

       23

       24

       25

       26

       27

       28

       29

       30

       31

       32

       Impressum

      1

      Es war noch früh am Abend... Die kleine Neuenfelder Turmglocke erhob pflichtschuldigst ihre Stimme und schlug sechsmal an – das klang wie ein halbersticktes Wimmern; denn der Sturm sauste durch die Schallöcher und zerblies die dünnen Schläge nach allen vier Winden. Dabei lagerte bereits die undurchdringliche Finsternis einer lichtlosen Dezembernacht über der Erde... Daß da droben die funkelnden Sternbilder in wandellosem Glanze allmählich aus dem tiefdunkeln Grunde hervortraten, daß es unbeirrt leuchtete und glühte wie über der wolkenlosen, blütenduftenden Maiennacht – wer dachte daran angesichts der vorübersausenden Wetterwand, die Erde und Himmel schied?... Und wer dachte an lieblichen Mondenglanz, an das matte Silberlicht der nachtgeborenen himmlischen Wanderer inmitten der gewaltigen vier Wände, die wie ein riesiger Würfel in das Dunkel hineinragten und an deren Ecken der Sturm machtlos seine Flügel zerstieß?... Da drin funkelte und leuchtete es auch, aber in jener unheimlichen Glut, die ein Feuerstrom, durch Menschenhand gelenkt und gebändigt, um sich verbreitet. Der Neuenfelder Hochofen war in voller Tätigkeit.

      Ein greller, blutigroter Schein entströmte dem Feuerkern des Vorherdes und floß über die nackten Quadern der Mauern und die geschwärzten Gesichter der schweißtriefenden Arbeiter.

      Was dort hervorquoll in flutender Bewegung und als glühende Tränen geschmeidig vom Gießlöffel herabtropfte, das waren die Erze, die, Jahrtausende starr und kalt im Panzer der Erde zusammengeschichtet, nun während eines einzigen furchtbaren Lebensmomentes ineinander rannen, um dann nach menschlicher Willkür und Laune in irgendeiner Form zu erstarren.

      Die Fenster des mächtigen Baues schimmerten nur matt nach außen, aber droben aus der Esse lohte die weithin sichtbare Glut, dann und wann eine Funkengarbe ausstoßend, als ob eine vermessene Faust eine Handvoll Sterne gegen den Himmel schleudern wollte – sie zerstoben wirkungslos im Dunkel, wie der Menschengedanke an den sieben Siegeln des großen Geheimnisses über uns.

      In dem Augenblick, als es sechs Uhr schlug, wurde die Haustür der unweit der Gießerei gelegenen Hüttenmeisterwohnung leise aufgemacht; das sonst so vorlaute, unermüdlich nachklingende Türglöckchen schwieg dabei – es wurde offenbar mit vorsichtiger Hand gehalten, während eine Frau auf die Schwelle trat.

      »Ei du liebe Zeit, 's ist unterdes Winter geworden! Da haben wir ja mit einemmal den allerschönsten Weihnachtsschnee!« rief sie. In diesem Ausruf lag eine heitere Überraschung, ein Ton, den man anschlägt beim plötzlichen Wiedersehen eines alten, lieben Bekannten... Die Stimme klang fast zu tief und markig für eine Frauenstimme; allein das verschlug den Pfarrkindern von Neuenfeld sehr wenig – sie schwuren auf das, was die Stimme ihrer Pfarrerin sagte, wie auf das Evangelium.

      Die Frau schritt vorsichtig die schlüpfrige Freitreppe hinab. In dem langhingestreckten, schwachrötlichen Lichtstreifen, den ihr Laternchen über den Weg warf, flirrte und flimmerte es einen Augenblick ungestört im lautlosen Niedersinken. Aber nun fegte ein jäher Windstoß um die Ecke; er warf der Pfarrerin den großen Kragen ihres Mantels über den Kopf und zerstiebte den lockeren, federweißen Flaum auf Weg und Steg abermals in Atome.

      Die Pfarrerin schlug den Kragen zurück, schob mit der Linken den gelockerten Kamm fester in die gewaltigen Haarflechten des Hinterkopfes und zog das um die Ohren gebundene Tuch schützend über die Stirn. Wie ein Reckenweib stand die große, festgegliederte Gestalt inmitten des staubenden Schneewirbels, und der Laternenschein beleuchtete Züge voll Kraft und Frische, eines jener energischen Gesichter, über die der strenge Atem des Winters, wie der Wechsel des Lebens gleich erfolglos hinstürmten.

      »Nun will ich Ihnen etwas sagen, mein lieber Hüttenmeister!« wandte sie sich an den Mann zurück, der sie begleitet hatte und auf der Türschwelle stand. »Da drin durft' ich's nicht... Meine Tropfen sind gut, und auf den Fliedertee lasse ich auch nichts kommen, aber es kann nicht schaden, wenn die alte Röse heute nacht aufbleibt – vielleicht behalten Sie auch einen von den Hüttenleuten in der Nähe, wenn etwa doch der Doktor herüber müßte.«

      Der Mann machte eine Bewegung