A. A. Kilgon
Die Farbe der guten Geister
Am Tod vorbei führt auch ein Weg.
Roman
Impressum:
A. A. Kilgon
Die Farbe der guten Geister, Am Tod vorbei führt auch ein Weg.
Kontakt: [email protected]
© Dr. Barbara Noglik, Dorfstrasse 133, 18356 Fuhlendorf (Deutschland)
Lektorat: Dr. Harry Noglik und Margrit Noglik
1. Auflage Februar 2017
Redaktionsschluss: 25.02.2017
Dieser Roman ist kein medizinischer Ratgeber. In allen Krankheitsfällen wird empfohlen, ärztlichen Rat oder den Rat eines Heilpraktikers einzuholen.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der elektronischen, mechanischen und fotografischen Vervielfältigung, der Verarbeitung und Speicherung in elektronischen Systemen, des Nachdruckes in Zeitungen oder Zeitschriften, des öffentlichen Vortrages, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und Video, auch einzelner Textteile sowie Übersetzung in andere Sprachen.
Dieser Roman basiert auf einer wahren Begebenheit.
Die Namen von Personen und die Orte der Handlungen wurden verändert, um ihre Privatsphäre zu wahren. Ähnlichkeiten mit anderen lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
KAPITEL 1
Es war ein schöner, sonniger Morgen Mitte Mai, als das aufdringliche, schrille Piepen des Weckers Tilda unsanft aus ihren Träumen riss. Sie drehte sich noch einmal um, fühlte sich wie erschlagen. Einen Moment lang lag sie noch so da, unfähig sich zu bewegen. Ihr Mund war trocken. Ein dumpfer Druck lastete auf ihrem Bauch. Ihre Beine schienen wie gelähmt zu sein. Sie hatte ganz fest geschlafen und war noch immer wie benommen.
Neben ihr lag Ludwig. Er schnarchte inbrünstig vor sich hin. Ein in die Jahre gekommenes Sägewerk konnte keine schaurigeren Töne von sich geben. Es klang, als wäre er dabei, den gesamten nordischen Waldbestand abzusägen. Tilda kannte dieses schreckliche Schnarchen bis dahin nur von ihren Großeltern. Aber alte Leute durften das. Nur Ludwig, der war weit davon entfernt, so alt zu sein wie ihre Großeltern es gewesen waren. Ludwig war erst 35 Jahre alt. 35 Jahre waren nicht alt genug für eine derart fürchterliche Geräuschkulisse. Tilda bemühte sich trotzdem, ruhig zu bleiben. Sie wollte sich nicht schon wieder darüber aufregen. Schließlich änderte sich dadurch nichts. Ludwig schnarchte schon solange sie ihn kannte. Außerdem hatte sie die ganze Nacht lang neben ihm gelegen und fest geschlafen. Sein Sägen hatte sie dabei offenbar nicht gestört. Das war der Beweis dafür, dass es so schlimm eigentlich nicht sein konnte. Angestrengt versuchte sie, gelassen zu bleiben. Doch auch mit der gelassensten Einstellung änderte sich nichts daran, dass sie das Schnarchen neben sich einfach nur schrecklich fand. Ein unangenehmer Schauer rannte über ihren Körper, jagte eiskalt vom Scheitel bis zu ihren Fußsohlen hinunter. Sie biss die Zähne fest aufeinander und atmete wütend aus. Wie hypnotisiert starrte sie an die weiß gestrichene Decke über sich. Auf ihr huschten, von der Morgensonne beschienen, die Schatten einiger Zweige hin und her. Ein paar verirrte Sonnenstrahlen glitten durch die leichten Vorhänge mit dem maritimen, blau-weißen Streifenmuster. Sie hatte diesen Vorhangstoff selbst ausgesucht und genäht. Sie mochte den Stil, der noch dazu so gut zu Hamburg passte. Bei dem wunderbaren Sonnenschein draußen hätte man fast glauben können, es wäre bereits Hochsommer. Die Sonnenstrahlen schon so früh am Morgen vermittelten das Gefühl, als stünde ein schöner, langer Sommertag bevor. Doch die Sonne hatte in Wahrheit noch gar nicht genug Kraft dafür. Es war noch kalt draußen. Die Sonne war noch zu schwach. Der Sommer sollte erst noch kommen.
Nachdenklich glitt Tildas Blick von der Decke abwärts über das schlafende Gesicht ihres Lebensgefährten. An Ludwig war, wenn sie ehrlich blieb, im Laufe ihrer sechsjährigen Beziehung so einiges unattraktiv geworden. Nicht sein Äußeres. Das ganz und gar nicht. Ludwig sah, ohne zu übertreiben, einfach großartig aus. Er war sportlich und durchtrainiert, sehr gepflegt und hatte diesen mitreißenden Charme, der andere Männer neben ihm blass aussehen ließ. Er war ein typischer Münchner, ein Bayer eben. Er war in München geboren und aufgewachsen und Tilda hatte ihn damals, vor gefühlt ewigen Zeiten, während ihres Studiums in Hamburg kennengelernt. Sie hatte gerade mit ihrem Lehramtsstudium für die Fachrichtungen Deutsch und Physik begonnen. Ludwig war damals schon im vorletzten Semester gewesen. Er studierte Bauingenieurwesen. Bei genauer Betrachtung war das eigentlich sein vorletztes Semester in zweiter Wiederholung. Das wusste sie damals aber noch nicht. Letzten Endes hatte er dann aber doch erfolgreich abgeschlossen. Auch jetzt, nach den Jahren in Hamburg, hatte Ludwig noch immer einen ganz heißen Draht nach Süddeutschland. Seine Eltern, sein Bruder und der ganze Rest seiner Verwandtschaft lebte in München. Wenn Tilda es ganz genau betrachtete, so waren die „ewigen Zeiten“, die sie Ludwig kannte, doch noch gar nicht so lang. Es waren sechs Jahre. Inzwischen kam ihr das aber wie eine Ewigkeit vor.
Ludwig, der Prüfstatiker, war sozusagen ein fescher bayrischer Buar, der in Hamburg gestrandet war. Augenscheinlich fühlte sich aber doch ganz wohl dabei. Sein Bayrisch hatte inzwischen eine dezentere Note angenommen, wurde von seiner Umgebung aber dennoch ganz klar bemerkt. Die meisten Leute, die ihn kannten, mochten jedoch die Art, in der er sprach. Auch ansonsten war er bei allen recht beliebt, denn er konnte durchaus nett sein. Er hatte das Talent dazu, sich immer im besten Licht zu präsentieren. Das mochte oberflächlich klingen und im Grunde genommen war Ludwig das auch. Er war oberflächlich. Dafür war er aber recht intelligent und sah umwerfend aus. Seine blauen Augen standen in auffälligem Kontrast zu seinem dunkelbraunen, glänzenden Haar, das er immer kurz geschnitten und perfekt gestylt trug. Er hatte auffallend schöne, weiße Zähne. Das war allerdings nicht wirklich sein Verdienst, sondern, wie Tilda bald feststellte, ein Familienerbe. Ein Blick auf die Münder seiner Verwandtschaft zeigte die Herkunft seiner schönen Zähne schnell an. Doch Ludwigs glänzende Erscheinung war nicht ganz so ohne Schatten, wie es im ersten Moment den Anschein haben mochte. Vor allen Dingen war es seine Spießigkeit, die gutmeinende Zeitgenossen vielleicht als „bodenständig“ oder „zuverlässig“ bezeichneten. Tilda ging diese Eigenschaft jedoch seit geraumer Zeit gehörig auf die Nerven. Und irgendwie war es auch genau diese Spießigkeit, die bei ihm im Laufe der Zeit immer stärker hervorzutreten schien.
Sicher war sich Tilda allerdings nicht, ob es vielleicht notwendig war, spießig zu sein, wenn man so wie Ludwig im Hamburger Stadtbauamt arbeitete. Möglicherweise war er an diesem Ort auch erst so geworden. Vielleicht, weil dieser Job gar nicht anders zu bewältigen war. Das würde allerdings die klassische Fragestellung aufwerfen, was zuerst da war: das Ei oder die Henne, der Job oder die Spießigkeit. Oder war es vielmehr so, dass Ludwig genau deshalb Baustatiker geworden war, weil er in seinem innersten Kern schon immer ein Spießer gewesen war? Wie immer auch die Dinge in dieser Hinsicht lagen. In jedem Falle liebte er seine Arbeit ohne jede Einschränkung. Er ging vollständig darin auf. Zumindest hatte er auf Tilda bisher immer diesen Eindruck gemacht. Er sprach zwar fast nie darüber, was er den ganzen Tag lang so tat, aber er beschwerte sich auch nicht. Tilda ging folglich davon aus, dass er mit seiner Arbeit im Stadtbauamt glücklich war. Nachdenklich fragte sie sich, ob er wohl auch in seiner Beziehung mit ihr glücklich war. Vielleicht gab es etwas, das ihn an ihr störte? Etwas, das ihm nicht gefiel?
Tilda holte tief Luft und war unschlüssig. Ihre Gedanken kreisten darum, was das möglicherweise sein konnte. Vielleicht war es ihr blondes, kurzes Haar, das sie seit Jahren immer gleich trug und das sie nie lang wachsen ließ, obwohl er sich das so sehr wünschte. Er hatte ja keine Ahnung davon, wie langes Haar bei ihr aussehen würde. Tilda wusste, dass es viel zu dünn dafür war, um es lang zu tragen. Aber musste sie ihm das wirklich beweisen? Und dann war da noch diese blöde Brille, die sie neuerdings zum Lesen brauchte und mit der sie sich selbst furchtbar hässlich fand. Und da war noch etwas. Sicher mochte er auch ihre Antipathie gegen High Heels nicht. Umso mehr, weil sie ganz im Gegenteil eine Vorliebe für flache, schnöde Ökotreter hatte. Die Schuhe, die ein kleines Vermögen kosteten, aber immer irgendwie den Charme von orthopädischen Spezialanfertigungen hatten. Ihre Schuhe, die er meist nur „Rinden“ nannte, weil sie den Gang einer Frau