Pseudonym Fronlacher
Der Sumpf des Bösen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
PROLOG
Es gibt viele Lieder über das Traurigsein, über das Verlassen und Zurückgelassen werden.
Als erstes kommt einem wohl „Leaving on a jet plane“ in den Sinn. Der Refrain hat es selbst in Deutschland zum Gassenhauer gebracht:
Kiss me and smile for me
tell me that you wait for me
hold me like you never let me go
I'm leaving on a jet plane,
don't know when I'll be back again.
Aber egal, ob von John Denver, Peter, Paul & Mary oder von einem der unzähligen anderen Interpreten gesungen: Dieses Lied ist fast zu schön, um traurig zu sein.
Wer wirklich Weltschmerz fühlen möchte, sollte eher zu Leo Saywers „But I can't stop loving you“ greifen. Da wird die Szene bereits in der ersten Textzeile (So you leaving in the morning on the early train) gesetzt, und wenn Leo Saywer dann den Refrain schmettert, kommen einem fast die Tränen.
Traurigkeit pur bieten Buffalo Springfield in ihrem Song „Out of my mind“. Hier möchte man wirklich heulen, weil alles aus und vorbei ist und jede Hoffnung gestorben ist. Aber das bietet letztlich keinen Trost.
Für den, der einen Menschen unsagbar geliebt hat und von diesem Menschen zurückgelassen worden ist, gibt es nur einen Song, der wirklich ins Mark trifft: „Where are you?“ von Cat Stevens. Hier kommt die einzigartige Stimme von Stevens perfekt zur Geltung. Der Sog dieses Liedes ist so stark, dass seine drei Minuten kaum auszuhalten sind. Aber wer durchhält, wird mit einem dreifachen Abgesang belohnt, bei dem Cat Stevens voller Inbrunst und Verzweiflung singt:
Where are you?
Where are you?
Where a-a-are you?
Wo bist Du, Clarissa?
TAG 1 Sonntag
EINS
Verdammt lang her! Er war seit fünf Jahren nicht mehr da gewesen. Dabei strahlte der Ort eine vollkommene Ruhe aus. Die kleine Kapelle mitten im Wald, daneben der Weg zu der Hütte, in der sie damals viele Feste gefeiert hatten. Er war fast immer dabei gewesen, bis auf das letzte Mal, bis auf die letzte Fete, die in einer Tragödie geendet hatte. Und das war wohl auch der Grund, warum er an jenen Ort, an dem er als Teenager oft Trost gesucht hatte, nur noch ganz selten zurückkehrte. Während er rauchte und nachdachte, spürte er den Regen kaum, der immer stärker wurde.
Aber trotz der Gelassenheit des Ortes, die mit dem leisen Vogelgezwitscher perfekt harmonierte, spürte er heute eine steigende Unruhe. Nur noch wenige Minuten bis zum vereinbarten Termin an der Bank am Waldrand. Warum ein Treffen nach so vielen Jahren an so einem verwunschenen Ort? Warum die Heimlichtuerei? Gab es wirklich ein Geheimnis, von dem er all die Jahre nichts geahnt hatte?
Den nächsten Moment würde er sein Leben lang nicht vergessen. Die Vögel hatten offenbar ein besseres Gehör als er. Ihr Singsang stoppte, mit Getöse nahmen sie Reißaus und flogen davon. Dann hörte auch er den Knall. Vor Schreck hätte er fast die Zigarette fallen lassen. Er warf sie achtlos in die nassen Sträucher und rannte zu seinem Auto. Beim Anfahren verwechselte er den 1. Gang und den Rückwärtsgang und hätte fast den Baum vor ihm gerammt. Er fluchte laut, parkte mit quietschenden Reifen aus und gab Vollgas.
Eine innere Stimme raunte ihm zu; „Du kommst doch eh' zu spät. Sei vorsichtig!“ Er wischte den Gedanken beiseite, ging dann aber doch vom Gas. Der Waldweg war schmal und feucht. Wem nutzte es, wenn er im Graben landete oder den Wagen gegen einen Baum fuhr? Endlich wurde der Baumbestand dünner, dann hatte er den Wald hinter sich gelassen. Jetzt noch in zwei großen Kehren hinauf zum höchsten Punkt, dann hatte er den Treffpunkt erreicht.
Was würde ihn erwarten? Mit höchster Anspannung blickte er voraus. Aber da war nichts – kein Wagen, keine Menschenseele. Er stoppte sein Auto an der kleinen Bank, achtete immerhin darauf, die Handbremse fest anzuziehen, dann stürzte er aus dem Wagen und sprintete zur Böschung.
Gab es ein Déjà-vu-Erlebnis, obwohl man bei der Premiere nicht dabei gewesen war? So hatte es sich vor 20 Jahren abgespielt: Ein Wagen mit drei Schulkameraden, die als Letzte am frühen Morgen das letzte Abifest verlassen hatten, kam von der Straße ab und stürzte in die steilste Schlucht des Landkreises. Noch bevor das Auto unten aufprallte, fing es Feuer. Später konnten nur noch verkohlte, entstellte Leichen geborgen werden.
Als er jetzt nach unten blickte, sah er tief unten ein Auto lichterloh brennen. Der Fahrer, der mehr als 12.000 Kilometer zurückgelegt hatte, um an diesen Ort zurückzukehren, hatte sein Geheimnis mit ins Grab genommen.
ZWEI
„Fidschi, Du siehst aus wie eine lebendige Leiche“, sagte Polizeiinspektor Karl Adam, der den Lokalchef der hiesigen Tageszeitung, Bernhard Fritsch, seit ewigen Zeiten kannte. Der Spruch war nicht witzig gemeint, sondern eher eine Feststellung. „Hier, nimm einen Schluck Kaffee zum Aufwärmen.“
„Kann ich endlich nach Hause fahren?“, fragte Fritsch zurück, bibbernd, frierend, verdreckt von oben bis unten. Er hatte mit seinem Handy den Notruf gewählt und war dann die Böschung hinuntergeklettert, hatte sich im nassen Gras überschlagen und stand am Ende ohnmächtig und hilflos vor dem brennenden Wagen.
Nach 20 Minuten war die erste Polizeistreife zur Stelle, kurz darauf der Notarztwagen und etwas später die Feuerwehr. Bis die Spurensicherung aus Waldham und der Kommissar aus der Kreisstadt Gondorf gekommen waren, verging eine weitere Stunde. Jetzt war der Unfallort – oder war es ein Tatort? – mit einem Polizeiband gesichert, ein provisorisches Zelt diente als Unterschlupf vor dem prasselnden Regen.
Fritsch hatte den Streifenpolizisten gesagt, was er wusste. Jetzt stand er patschnass im Regen, nur die Digicam lag wohlbehalten und trocken im Rucksack. Zumindest um den Aufmacher für die morgige Ausgabe brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Trotzdem wollte er weg von hier, so schnell wie möglich.
„Der Kommissar will noch mit Dir sprechen“, meinte Adam entschuldigend. „Aber es kann nicht