LUNATA
Die Schwelle der geistigen Welt
Aphoristische Ausführungen
© 1913 by Rudolf Steiner
Umschlagbild: Wandtafelzeichnung von Rudolf Steiner
© 2020 Lunata Berlin
Inhalt
Von dem Erkennen der geistigen Welt
Von dem ätherischen Leib des Menschen und von der elementarischen Welt
Zusammenfassung des Vorangehenden
Von dem astralischen Leibe und von luziferischen Wesenheiten – Von dem Wesen des ätherischen Leibes
Zusammenfassung des Vorangehenden
Von dem »Hüter der Schwelle« und einigen Eigenheiten des übersinnlichen Bewusstseins
Von der Grenze zwischen der Sinnenwelt und den übersinnlichen Welten
Von der ersten Anlage des physischen Menschenleibes
Von dem »wahren Ich« des Menschen
Zusammenfassung des Vorangehenden
Einleitende Bemerkungen
In dieser Schrift werden in aphoristischer Form einige Schilderungen gegeben derjenigen Teile der Welt und der menschlichen Wesenheit, die geschaut werden, wenn die geistige Erkenntnis die Grenze überschreitet, welche Sinneswelt von Geisteswelt trennt. Es ist weder eine systematische Darstellung noch in irgendeiner Beziehung Vollständigkeit angestrebt, sondern es sind in freier Art einige Beschreibungen versucht von geistigen Erlebnissen. In dieser Beziehung soll auch diese Schrift, wie die im vorigen Jahre veröffentlichte »Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen« meine anderen Schriften ergänzen und erweitern. Doch ist auch hier versucht, die Darstellung so zu geben, dass die Schrift für sich selbst, ohne die Kenntnis der andern, gelesen werden kann.
Derjenige, welcher in die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft wahrhaft eindringen will, wird die Notwendigkeit empfinden, das geistige Gebiet des Lebens von immer neuen Seiten betrachten zu können.
Es ist ja nur naturgemäß, dass jeder solchen Darstellung eine Einseitigkeit anhaftet. Es muss bei Schilderungen des geistigen Gebietes dies viel mehr eintreten als bei solchen der Sinneswelt. Daher kann es dem nicht wahrhaft ernst zu tun sein um geistige Erkenntnis, der sich mit einer einmal hingenommenen Darstellung zufrieden gibt. Ich möchte mit solchen Schriften, wie diese eine ist, demjenigen dienen, welcher es in der angedeuteten Art ernst meint mit seinem Suchen nach Erkenntnis der geistigen Welt. Deshalb versuche ich, geistige Tatsachen, welche ich in meinen Schriften von gewissen Gesichtspunkten aus geschildert habe, von anderen Gesichtspunkten aus immer wieder darzustellen.
Solche Darstellungen ergänzen sich gegenseitig wie Bildaufnahmen von einer Person oder einem Vorgang, die von verschiedenen Punkten aus gemacht werden.
Man hat bei jeder solchen Schilderung, die von einem gewissen Gesichtspunkte aus gemacht wird, Gelegenheit, Erkenntnisse auszusprechen, welche von einem anderen Gesichtspunkte aus sich nicht ergeben. Für denjenigen, welcher selbst die Geistesschau sucht, bieten sich auch in dieser Schrift wieder Anhaltspunkte für Meditationsstoffe. Man wird das bemerken, wenn man diese Anhaltspunkte sucht, um sie in entsprechender Art im seelischen Leben anzuwenden.
München, im August 1913
Rudolf Steiner
Von dem Vertrauen, das man zu dem Denken haben kann und vom Wesen der denkenden Seele. Vom Meditieren
Das menschliche Denken ist für das wache Tagesbewusstsein wie eine Insel inmitten der Fluten des in Eindrücken, Empfindungen, Gefühlen usw. verlaufenden Seelenlebens. Man ist bis zu einem gewissen Grade mit einem Eindruck, mit einer Empfindung fertig geworden, wenn man sie begriffen, das heißt, wenn man einen Gedanken gefasst hat, der den Eindruck, die Empfindung beleuchtet. Selbst im Sturm der Leidenschaften und Affekte kann eine gewisse Ruhe eintreten, wenn sich das Seelenschiff bis zu der Insel des Denkens hingearbeitet hat.
Die Seele hat ein natürliches Vertrauen zu dem Denken. Sie fühlt, dass sie alle Sicherheit im Leben verlieren müsste, wenn sie dieses Vertrauen nicht haben könnte. Das gesunde Seelenleben hört auf, wenn der Zweifel an dem Denken beginnt. Kann man über irgend etwas im Denken nicht ins klare kommen, so muss man den Trost haben können, dass die Klarheit sich ergeben würde, wenn man sich nur zur genügenden Kraft und Schärfe des Denkens aufraffen könnte. Über das eigene Unvermögen, etwas durch Denken zur Klarheit zu bringen, kann man sich beruhigen; nicht aber kann man den Gedanken ertragen, dass das Denken selbst nicht Befriedigung bringen könnte, wenn man in sein Gebiet so eindringen würde, wie es für eine bestimmte Lebenslage zur Erlangung des vollen Lichtes notwendig ist.
Diese Stimmung der Seele gegenüber dem Denken liegt allem Erkenntnisstreben der Menschheit zugrunde. Sie kann durch bestimmte Seelenverfassungen abgedämpft sein; im dunklen Fühlen der Seelen wird sie stets nachweisbar sein. Diejenigen Denker, welche an der Gültigkeit und Kraft des Denkens selbst zweifeln, täuschen sich über die Grundstimmung ihrer Seele. Denn es ist doch eigentlich ihre Denkschärfe oft, welche durch eine gewisse Überspannung ihnen die Zweifel und Rätsel bildet.
Vertrauten sie dem Denken wirklich nicht, so zerquälten sie sich nicht mit diesen Zweifeln und Rätseln, welche doch nur die Ergebnisse des Denkens sind.
Wer das hier angedeutete Gefühl in Bezug auf das Denken in sich entwickelt, der empfindet in diesem nicht allein etwas, das er in sich als Kraft der menschlichen Seele ausbildet, sondern auch etwas, das ganz unabhängig von ihm und seiner Seele eine Welt-Wesenheit in sich trägt. Eine Welt-Wesenheit, zu welcher er sich hindurcharbeiten