Weihnacht!. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746747477
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weil er es wahrscheinlich nicht versteht. Er scheint ein Lebemann zu sein; da müssen wir, so was man sagt, jovial auftreten, so thun, als ob wir seinesgleichen und schon längst mit ihm bekannt seien. Und was das Imponieren betrifft, so – – ah, da denke ich an das, was mir der »Alte« sagte, nämlich daß es mir keine Mühe macht, stundenlang in Reimen zu reden. Du bist ja auch nicht auf den Kopf gefallen und hast mir schon öfters mit ganz passablen Knüppelversen geantwortet. Wollen wir diesen Franzl mit Reimen anulken?«

      »Der Gedanke ist nicht schlecht; ich werde mein möglichstes thun. Aber wenn er es sich nun nicht gefallen läßt?«

      »Da halten wir inne und werden rasch vernünftig. Also los! Wir scheinen hier am Ziele zu sein.«

      Der Gendarm hatte uns durch einige Gassen geführt und lenkte nun zu einem Einkehrhause, zu dessen Thür einige Stufen emporführten. Das Gebäude machte mit der Umgebung, die zu ihm gehörte, einen stattlichen Eindruck. Wir schritten die Stufen hinan und kamen in einen nach Stallduft riechenden Flur, wo der Polizist eine Thür öffnete, einen forschenden Blick in die Gaststube warf und dann heiteren Tones rief:

      »Grüß Gott, Franzl! Da bin ich schon wieder und bring famose Gäste mit.«

      »Wen denn?« fragte eine fette Stimme.

      »Zwei Studenten aus Bayern oder anderswo, die für die Nacht gern ein warmes Nest haben möchten.«

      »Studenten? Halloh, herein mit ihnen! Für solche Herrschaften habe ich soviel Nester, wie sie sich nur wünschen können. Ubi bene, ibi patria!«

      Wir traten in die Stube, die ziemlich groß aber niedrig war. Links stand eine Frau beim Butterfaß. Sie hatte »gebuttert« und war nun beschäftigt, die Buttermilch – meine Wonne! – durch ein Seihtuch zu gießen. Das war die Wirtin. Rechts von der Thür saßen einige Männer gewöhnlichen Schlages beim billigen böhmischen Schankbier. Aber der Thür gegenüber gab es einen großen runden Tisch, an welchem einige Personen, denen man die Honoratioren ansah, Platz genommen hatten. Einer von ihnen war aufgestanden und sah uns erwartungsvoll entgegen. Ich konnte gar nicht bezweifeln, daß er der Franzl war. Ja, er mußte vor Jahren ein fescher Bursche gewesen sein; noch jetzt trug er sein glänzend eingefettetes dunkles Haar in verlockend gelegte Ringel. Eine blütenweiße Schürze bedeckte den Schmeerbauch; über dem Latze derselben thronte eine sanft quatschelige Unterkehle, die in ein glattrasiertes, volles und rotwangiges Gesicht überging, in welchem wohlwollende Heiterkeit ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Als der Blick der freundlichen Augen kurz auf uns geruht hatte, kam der Mann vollends hinter dem Tische hervor, streckte uns die Hand zum Gruße entgegen und sagte:

      »Ja, man sieht es der ganzen, vornehmen Haltung an, daß Sie Studenten, wirkliche, echte Studenten sind. Seien Sie uns willkommen; setzen Sie sich hier bei uns an diesem Tische nieder, und sagen Sie, wozu Sie Appetit haben!«

      Ich schüttelte ihm die Hand und antwortete unverzüglich mit dem ernstesten Gesichte der Welt:

      »Ich bitte, nicht verkehrt zu fragen – – und will die Wahrheit Ihnen sagen: – – Wir haben, wie ein jeder sieht – – nicht Appe- sondern Trinketit!«

      Der liebe Franzl fuhr zwei Schritte zurück, riß die Augen weit auf und fragte ganz erstaunt:

      »Wie – – wa – – was? Appe – – Trinke – – tit – – tit – –? Sie meinen, daß Sie nicht essen sondern trinken wollen? Gut! Was darf ich bringen?«

      »Es läuft aus diesem großen Faß – – hervor ein delikates Naß, – – das in der Stadt und auf dem Land – – als Buttermilch ist weltbekannt; – – wir wollen weder Bier noch Wein; – – schenkt uns davon zwei Gläser ein!«

      »Faß – – – Naß – – – Land – – – Kanne – – – Wein – – – ein – – –? Hören Sie, sagen Sie: Sie sind wohl gar ein Dichter, ein wirklicher, unzweifelhafter, ausgebildeter Dichter?!«

      »Ich bin ein Dichter, aber nicht – – für jeden mach ich ein Gedicht, – – doch unsers guten Franzls wegen – – kann man sich schon aufs Dichten legen, – – denn er ist ein gar kluger Mann, – – der diese Kunst begreifen kann; – – drum gebt das Glas mit Milch jetzt her; – – auf Franzls Wohl trink ich es leer!«

      Zu meiner Freude fiel Carpio auch schnell ein:

      »Auch ich trink bis zum Boden aus, – – zum Gruß dem Wirt und seinem Haus, – – und thu ich das um seinetwillen, – – so mag er es auch wieder füllen!«

      Wir tranken aus und gaben ihm die Gläser zurück. Er schien das große Glück, unsere Bekanntschaft machen zu dürfen, immer noch nicht ganz begreifen zu wollen; dann aber warf er die leeren Gläser plötzlich in die Ecke auf das Kanapee, nahm uns bei den Händen, zog uns zum Tische hin und rief:

      »Ach was, Buttermilch! Wein her, Wein! Wir haben da nicht nur einen sondern gleich zwei Dichter! Fama crescit fundo! So eine Überraschung, so eine Freude! Hol Wein, Anna, Wein! Ich weiß, was man so geistreichen Herren vorzusetzen hat! Setzen Sie sich nieder, immer nur nieder, denn wissen Sie, habenti dabitur et abundabit!«

      Ich setzte mich zwar, wehrte aber ab:

      »O nein, bringt ja noch keinen Wein; – – es darf nur Buttermilch jetzt sein, – – doch ist der erste Durst gestillt, – – dann sind wir auch zu Wein gewillt!«

      »Na, dann meinetwegen Buttermilch, wenn es denn nicht anders sein darf; aber später müssen Sie mir erlauben, Sie als meine ganz besonderen und persönlichen Gäste zu betrachten! Zu bezahlen haben Sie natürlich nichts, keinen Kreuzer, ganz und gar nichts!«

      Carpio warf mir einen Blick zu, und als ich diesen nicht beachtete, versetzte er mir einen kräftigen Fußtritt, der freilich deutlicher war. Und nun folgte eine sehr bewegte Scene. Die Gäste, welchen vorhin vor Verwunderung die Sprache ausgegangen zu sein schien, fanden sie jetzt wieder; die, welche am andern Tisch gesessen hatten, blieben nicht länger dort; sie kamen herbei und präsentierten uns ihre Biergläser, die wir natürlich zurückwiesen. Alle sprachen auf uns ein und jeder wollte ganz besonders von uns gehört werden. Die an uns gerichteten Fragen wurden alle von uns mit Reimen beantwortet, was auf Franzl einen solchen Eindruck machte, daß er seiner Frau, die auch ganz entzückt von solchen Gästen war, die Weisung erteilte:

      »Höre, Anna, diese hochgeehrten Herren bekommen keine gewöhnlichen Gastbetten, sondern sie schlafen in der guten Stube, wo der Glasschrank steht. Ich weiß, was Bildung heißt. Corvus corvo nigredinem objicit!«

      Dieses sein Latein machte mir riesigen Spaß. Da er nur Sprichwörter brachte, nahm ich ihn sehr stark in Verdacht, sie irgend einem alten Verzeichnisse entnommen und sich eingeprägt zu haben, um sie gelegentlich loszulassen und als Lateiner zu gelten. Den lateinischen Text hatte er sich gemerkt, aber nicht den Sinn desselben, und so durfte man sich nicht darüber wundern, daß er sie meist grad dann in Anwendung brachte, wenn ihr Gebrauch zum Unsinn wurde. Es giebt solche eigentümliche Menschen, und er ist nicht der einzige dieser Art, den ich kennen gelernt habe.

      Es kann nicht meine Absicht sein, die nun folgende Unterhaltung wiederzugeben; sie wurde von uns mit Reimen und von seiten des Wirtes mit den tollsten Lateineleien gespickt, wodurch er aber den sich sehr zahlreich einstellenden Gästen außerordentlich zu imponieren schien. Welche Schule er besucht und welchen Bildungsgang er hinter sich hatte, das konnten wir nicht erfahren; er schien Gründe zu haben, nicht davon zu sprechen, und wir waren nicht so rücksichtslos, ihm darauf bezügliche Fragen vorzulegen.

      Ein kleines Intermezzo darf ich nicht umgehen. Mein Carpio hatte unterwegs bemerkt, daß ihn ein durch die Stiefelsohle gedrungener Nagel in den Fuß stach, und den Stiefel ausgezogen, um ein zusammengefaltetes Stück Papier unterzulegen. Jetzt bemerkte er, daß der Nagel auch in dieses Papier ein Loch gemacht hatte und ihm nun neue Schmerzen bereitete. Er vertraute diese schmerzliche Angelegenheit einem mit anwesenden Schuhmacher an, und da dieser sich bereit erklärte, die vorwitzige Nagelspitze abzustumpfen, so zog er den Stiefel aus, um ihn dem Helfer in der Not anzuvertrauen. Dabei fiel das nun durch die eingedrungene Feuchtigkeit des Schnees sehr unscheinbar gewordene Papier heraus. Es sah wie ein alter, abgebrauchter