1. Auflage 2016
Jürgen Schwarz, Lüneburg, Am Ebensberg 6a
Copyright © Jürgen Schwarz 2015
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Zum Autor:
Jürgen Schwarz Blum lebt in der Lüneburger Heide. Nach dem Studium der Mathematik arbeitet er in der Software-Industrie und als Autor.
Inhalt
Vigiliae – Dunkle Nacht
Die kleine Raumsonde flog lautlos durch Raum und Zeit. Dunkel war es außen um sie herum. Weit entfernt leuchtete eine kleine Kreisscheibe hell auf, so weit, dass sie hier kaum als Lichtquelle dienen konnte und keine Wärme spendete. Die Temperatur war draußen sehr frostig. Aber tief im Inneren, im Herzen der kleinen Raumsonde, wärmte ein kleiner metallischer Zylinder aus Plutonium ein wenig die Umgebung auf. Das Metall schien ganz nach dem einsamen und kalten Zwergplaneten – Pluto – benannt zu sein. Die kleine Raumsonde fühlte sich einsam und verloren. Auch Pluto mit seinen vielen Monden, die lustig im Raum auf ihren Bahnen um den Zwergplaneten tanzten, konnte sie nicht aufheitern. Sie war so unendlich traurig. Solange sie zurückdenken konnte, war sie schon traurig. Sie konnte sich kaum noch an den Grund der Traurigkeit erinnern, so sehr wurde sie von dem Gefühl eingenommen.
So flog die kleine Raumsonde weiter auf ihrem langen Weg. Wohin? Sie wusste es nicht. Sie blickte zurück. Auch Pluto wurde schnell kleiner und war fast schon hinter ihr in der Dunkelheit verschwunden. Die kleine Raumsonde fühlte sich so müde. Sie wollte schlafen.
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Die Nacht war angebrochen, doch im Observatorium der Universitätssternwarte begann die Arbeit jetzt erst richtig. Die Anlagen und Computer zur Steuerung der Teleskope mussten überwacht werden. Die Beobachtungen selbst wurden automatisiert vorgenommen. Der echte Blick auf den Himmel war bei den Astronomen eher selten. Sie schauten erst dann auf die Aufnahmen, wenn die Rechner und Algorithmen etwas Interessantes gefunden hatten. Über die Rechnernetze waren auch andere Beobachtungsstationen weltweit angebunden.
Aber das Interessante, sagte sich Simone, war doch, dass alles astronomische Wissen aus Licht – auch über den sichtbaren Bereich hinaus – und nur aus Licht herausgelesen wurde. Die astronomischen Forschungsobjekte konnten nicht besucht oder in die Hand genommen werden, um sie zu untersuchen. Es musste sich mit dem zufällig auf der Erde ankommenden Licht begnügt werden. Simone studierte Astrophysik und arbeitete nebenbei hier an der Sternwarte. Mittlerweile schrieb sie die Abschlussarbeit. Es ging dabei um die Planetenentstehung aus der Staubscheibe, die eine noch junge Sonne umkreist hatte. Durch Zusammenlagerung von Teilchen waren erst kleinere und dann immer größere Körper entstanden. Daraus entwickelten sich dann die Planeten und Monde. Kleinere Objekte, die es nicht mehr zum Planeten gebracht hatten, waren jetzt als Asteroiden bekannt. Den genauen Entstehungsprozess konnte man versuchen, mit Simulationen im Computer nachzubilden. Dabei war das Wissen um die Anfangsbedingungen und die Zusammensetzung der Staubscheibe entscheidend.
Simone blickte von ihrem Computermonitor auf. In einer Ecke des kleinen Raumes stand noch ein weiterer, schon ziemlich alter Rechner. Dies war das Verbindungsterminal zum Deep Space Network der NASA. Mit drei weltweit verteilten Stationen wurde Kontakt zu den diversen Raumsonden unterhalten, die die Menschheit bisher ausgesendet hatte. Von den meisten wurden nur die Telemetriedaten empfangen und archiviert. Damit konnten dann die Bahnkurven bestimmt werden. So wusste man immer, wo die vielen Raumsonden waren und wohin sie sich bewegten.
Außerdem wurden über das Deep Space Network Steuersignale an die verschiedenen aktiven Missionen gesendet. Auf diesem Wege konnten Kurskorrekturen vorgenommen werden, aber auch zum Beispiel die Roboter, die den Mars untersuchten, von der Erde aus gelenkt werden. In Gegenrichtung wurden gesendete Beobachtungs- und Photodaten der Raumsonden und Roboter empfangen. Diese wurden dann von der NASA an die jeweiligen Forschungsgruppen weitergeleitet.
Jetzt war erst einmal Zeit für eine kurze Pause. Simone stand auf und verließ den Raum.
»Hallo?«, fragte die kleine Raumsonde ganz leise.
Doch auf ihr Flüstern antwortete niemand. Sie war weiterhin allein.
Als Simone wenige Zeit später wieder zurückkam, fiel ihr auf dem kleinen Monitor des alten Rechners in der Ecke eine Nachricht auf. Normalerweise tat sich hier nichts weiter. Aber heute hatte das Deep Space Network Signale einer Raumsonde aufgefangen, die nicht in der aktuellen Beobachtungsliste aufgeführt war. Die Sonde ANUT-E I hatte nach Jahrzehnten Funkstille die Telemetriedaten zur ihrer Bahnkurve ausgesendet. Da es für diese Raumsonde keine bekannte aktive Forschungsgruppe mehr als Empfänger gab, hatte die NASA die Nachricht an alle angeschlossenen Stationen weitergegeben.
Neugierig geworden, suchte Simone nach näheren Details zu dieser Raumsonde. Vor mehr als fünfzehn Jahren war der Kontakt zu ANUT-E I, dem Anomalous Neutrino Unified Tensorfield Explorer 1, verloren gegangen. Der Strom des radiothermischen Generators hatte nicht mehr ausgereicht, um Signale zu senden, die stark genug waren, die Erde zu erreichen. Außerdem war davon ausgegangen worden, dass nur noch wenig Treibstoff für das kleine Raketentriebwerk verblieben war, mit dem die Bahnkurve hätte verändert werden können. Da die Finanzierung von Forschungsprojekten immer sehr knapp bemessen und zeitlich befristet war, war die Raumsonde schließlich aufgegeben worden.
Zuvor hatte die Sonde Untersuchungen in der Nähe der Sonne vorgenommen. Es ging um die Prüfung von Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Hierfür wurden Neutrinos, nahezu masselose Elementarteilchen, und der Einfluss der großen Masse der Sonne auf die Neutrinos untersucht. Dabei war sie am Ende ihrer Mission auf einer stark elliptischen Bahn aus der Sonnennähe und an der Erde vorbei fortgeflogen. Damals war berechnet worden, dass die Sonde auf ihrer Bahn tief in den Kuiper Gürtel eindringen würde. Dies war eine Gegend jenseits des äußeren Planetens Neptun, aus der viele Asteroiden kamen. Darunter waren auch relativ große Objekte. Einer davon war der lange Zeit als Planet geltende Pluto. Nachdem aber mit Sedna, Ceres, Makemake und noch weiteren eine ganze Reihe mit Pluto vergleichbar große Asteroiden gefunden worden waren, nannte man diese Objekte jetzt Zwergplaneten. Die Raumsonde ANUT-E I sollte so tief in den Kuiper Gürtel vordringen, dass sie wohl auch dessen weit entfernten äußeren Rand erreichen konnte. Womöglich, so glaubte man, konnte die Sonde auch ganz das Sonnensystem verlassen. Der Kuiper Gürtel war noch weitgehend unerforscht. So war auch die genaue Masse und deren Verteilung nicht bekannt. Sollte die Raumsonde größeren Objekten nahekommen, würde ihre Bahnkurve dadurch abgelenkt werden können – und so eben möglicherweise auf einen Kurs aus dem Sonnensystem hinaus kommen können.
Aber jetzt war ANUT-E I also wieder da. Von niemanden mehr in Anspruch genommen würde sie in etwa einem halben Jahr das Perihel, also ihren Sonnen-nächsten Punkt, erreichen. Dabei würde sie zuvor auch die Erde passieren. Simone dachte nach. Ihr war da eine Idee gekommen.
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