AFGHANISTAN HORSEGIRL
Abenteuer und Liebe im Afghanistan-Krieg
Roman
IMPRESSUM:
AFGHANISTAN HORSEGIRL
Norbert F. Schaaf
Copyright 2011 Norbert F. Schaaf
published at epubli GmbH, Berlin
ISBN 978-3-8442-0736-1
Dieser Roman versteht sich zugleich als Hommage an sowie auch als Gegenentwurf zu Texten von Joseph Kessel (Les Cavaliers / Die Steppenreiter), Ernest Hemingway (For Whom the Bell Tolls / Wem die Stunde schlägt) und Konstantin Simonow (Живые и мервтые / Die Lebenden und die Toten), alle unbestritten unübertreffliche Lehrmeister mit – aus heutiger Sicht – nicht nachahmenswerten, ja abschreckenden Tendenzenin Chauvinismus, Machismo und Ideologie. Freilich auch für die Tönung dieser Geschichte wird einmal die Zeit des Farbwechsels kommen – unausbleiblich.
Die Protagonistin ist emanzipiert, statt sich dem Patriarchat unterzuordnen, der Protagonist baut Brücken, statt sie zu sprengen, und beide denken frei und kritisch, statt sich in eine Ideologie zu fügen.
Inhaltsverzeichnis
1 Das Spielfeld
Afghanistan ist das Land der Überraschungen – insofern war es nicht ganz so überraschend, dass es Hermann Karfurt in diesem Jahr gelang, sich frei zu machen, um zum ersten Mal das große Herbst-Buskaschi miterleben zu können, zumindest seinen Beginn, bis sein Freund und Fahrer Haschem den Pick-up repariert haben würde, mit dem sie zu einer Schlucht in einem nicht allzu weiten Gebirgstal zu fahren hatten, um eine zerstörte Drahtseilbrücke instandzusetzen.
Bei seinen drei Militäreinsätzen in Afghanistan zuvor war Hilfe für die Bevölkerung angesagt gewesen, und als es darauf ankam, konnte er sich wie die anderen Kameraden kaum selbst helfen, geschweige denn zum Beispiel einem Kind, vielleicht zehn Jahre alt, das im Hof eines Lehmhauses von einem zottelbärtigen Erwachsenen offenbar brutal vergewaltigt wurde. Hermann hatte das Kindergesicht nicht gesehen, das der Mann unter seinem Gewand mit sichtlichem Kraftaufwand an seinen Schoß drückte, nur den kleinen knienden, bebenden Kinderkörper vom gekrümmten schmächtigen Rücken bis zu den schmalen dreckigen Fußsohlen, die gekreuzte längliche Striemennarben aufwiesen. Ein scharfer Befehl seines Patrouillenführers hatte ihn jäh los und seinen Blick von der gewalttätigen Szene weggerissen. Ihre Aufgabe am Hindukusch sei nicht Einmischung in die einzelnen Belange der einheimischen Bevölkerung, sondern ihr Schutz insgesamt, dazu Aufbauhilfe und Verteidigung der Demokratie. Geschützt hatten sie sich hauptsächlich selbst, aufgebaut im Wesentlichen ihr eigenes Camp, und eine Volksherrschaft zum Verteidigen war auch nicht in Sicht. Nach seiner Abmusterung und Promotion in Deutschland war Hermann sogleich nach Afghanistan zurückgekehrt, um einer Nichtregierungsorganisation seine Kenntnisse und Fähigkeiten als Bauingenieur im Brückenbau zur Verfügung zu stellen, und er war bereits lange genug vor Ort, dass sein rötlicher Bart ihm bis aufs obere Brustbein reichte.
Nun befand er sich unverhofft inmitten einer Zuschauermenge, die fieberhaft des Beginns des traditionellen afghanischen Reiterspiels harrte, und er wähnte sich gleich auch mitten im Film „Die Steppenreiter“ nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Kessel, den er zur Einstimmung auf Land und Leute sowie den Militäreinsatz gesehen und das Buch gelesen hatte wie auch Konstantin Simonows „Die Lebenden und die Toten“ sowie Ernest Hemingways „Wem die Stunde schlägt“ – allesamt Bücher und DVDs aus dem elterlichen Wohnzimmerregal.
In Hermanns Ohren erschallten plötzlich mächtig dröhnend die Langtrompeten der Reiterstaffel des Provinzgouverneurs in den frühen, klaren, sonnendurchfluteten Tag. Der kalte Fallwind von den nahen, mit ewigem Schnee gedeckten Bergen war stark abgeflaut und wehte nun leicht und stetig, kühl und erfrischend über die weite Steppenlandschaft im hohen Norden Afghanistans und die Haut von Hermanns hoch aufgekrempelten Armen. Er ließ seinen Blick schweifen über das Plateau, unweit der Provinzhauptstadt Kundus gelegen, das abgesteckt war von farbenprächtigen flatternden Fahnen und Flaggen, Wimpeln und Standarten. Das ausgedehnte Kampffeld war gleichwohl überschaubar, damit die Zuschauer jeden Winkel einsehen und nichts und niemanden aus den Augen verlieren konnten.
Nördlich sah Hermann die sich gleich hinter der Landstraße erhebende niedrige, felsige Hügelkette, den östlich sich lang hinstreckenden hohen Wall als Begrenzung der Hochebene, die südlich sich aneinanderreihende endlose Kette von Lastwagen und Autobussen, wie aus dem Film, nur ein wenig moderner in der Technik, doch ebenso bemalt mit Blumen, Vögeln und Säugetieren in schreienden Farben, und die westlich eine kleine Dorfgemeinschaft bildenden frisch gestrichenen blauen und rosafarbenen Lehmhütten. Wo Hermann auch hinschaute am langgezogenen Spielfeldrand, überall wimmelte es von Menschen, die in solchen Massen erschienen waren, dass sämtliche Ortschaften ringsum wie ausgestorben waren.
Die allermeisten waren bereits frühmorgens zu Fuß hergekommen, zum Teil viele Meilen weit, und immer noch trafen neue Wanderer ein. Müde und durstig stürmten viele sogleich in die Chaikhanas, Teestuben in größerer Zahl, eigens für diesen Tag aufgebaut, oder zu den ebenso zahlreichen Buden, errichtet von cleveren Kaufleuten, die bereits seit dem ersten Sonnenlicht Früchte aller Art verkauften wie Orangen, Weintrauben, Granatäpfel und Melonen.
Gutbetuchte riefen mit gellender Stimme einen der Batschas zu sich, ärmlich gekleidete Diener, die mit Wasserpfeifen herumeilten und für jeden betörenden Zug daraus eine kleine Bezahlung einsteckten.
Am Rande des Feldes, dem Hügel gegenüber auf der anderen Seite der Landstraße, waren fünf Zeltpavillons aufgestellt. In den beiden rechten saßen hohe afghanische Würdenträger jeweils aus der Region sowie den Nachbarprovinzen, Clanchefs und Stammesfürsten, etliche von