Die Sonnenanbeterin. Nieke V. Grafenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nieke V. Grafenberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737502559
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      DIE

      SONNENANBETERIN

      *

       Nieke V. Grafenberg

      *

      Urlaubskrimi

      Für Olli,

       Andrea und Christine

      *

Und für Muttchen

      Das Buch

      Ort des Geschehens ist ein Hotel in den Bergen - heiß geliebte Sommerfrische für Lena und ihre zwei Töchter. Und nicht nur für sie. Jedes Jahr wieder trifft sich hier der engste Freundeskreis für zwei Wochen märchenhaften Urlaubs.

      Nur - diesmal stehen die Vorzeichen schlecht.

      Diesmal kommt alles ganz anders.

      Ein unerwartet eintreffendes Geschenk des Hotels zwingt Lena, sich erneut zu erinnern und damit die traumatischen Ereignisse in jenem Jahr ein für alle Mal aufzuarbeiten.

      "Ich trage die Schneekugel hinauf in mein Reich, spüre das glatte Glas in der Hand, fahre die Wölbung mit dem Finger nach und tauche ein in eine andere Zeit.

      Mein Herz fängt unkontrolliert an zu pochen.

      Tränen des Schmerzes drängen heraus.

      Bis dahin kamen wir jedes Jahr - waren dort glücklich.

      Bis das Unfassbare geschah.

      Mit der einen, die dachte, sie könne die Puppen tanzen lassen. Die die Gunst der Stunde zu nutzen verstand.

      Und mit der anderen, die die Gefahr nicht witterte.

      Die sich ahnungslos selbst eine Falle stellte.

      Und hineintappte."

      PROLOG

      Sommerfrische .

      Für mich ein Wort, das ich schmecken kann.

      Das auf der Zunge zergeht wie Schmetterling, Stoppelfeld, Zehnpfennigkugelvanilleeis .

      Geschmäcker, Gerüche und der leise Hauch eines Bilderbuchsommers, wie man ihn nur als Kind erfährt.

      Es war Mutter, aus deren Mund ich das Wort so gern hörte. Ihre Eltern besaßen ein Stück Land bei Berlin. Zugang war nur auf dem Wasserweg möglich. Am Grundstücksende, unweit des altersschwachen Kletterkirschbaums, stand ein winziges Holzhaus, manchmal hellblau gestrichen, der weiße Giebel geschnitzt wie aus Spitzen - Handwerksarbeit allerfeinster Tradition. Auf dem Grasplatz davor weiße Korbmöbel.

      Sommerfrische . So stand es geschrieben.

      Bei Mutter im Gästezimmer hängt ein gerahmtes Foto. Beim Betrachten tauche ich ein in eine andere Zeit. Ich wollte immer schon haarklein wissen, wie es damals so war. Und Mutter erzählte bereitwillig die unabänderlich gleiche Geschichte - ein Märchen aus Kinderzeit ganz ohne Happy End:

      An Wochenenden und Festtagen zwischen Frühling und Spätherbst war Sommerfrische Treffpunkt für Verwandte und Freunde, die jederzeit willkommen waren. Kaum ertönte ihr Rufen vom anderen Ufer, schon machte man sich auf. Der am Holzpflock vertäute Kahn wurde losgebunden, die Lieben eingeholt und über den Fluss geschippert.

      Die Kinder lernten schwimmen, als das Boot einmal auf halber Strecke kenterte. Von da an durften sie sich unbeaufsichtigt in und auf dem Wasser tummeln.

      Onkel und Tanten brachten einen Kuchen oder andere leibliche Genüsse. Von noch größerer Bedeutung war - sie brachten ihre Hände, denn Obstbäume und Beerensträucher standen in Reihe und Glied.

      Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen . Mutters leiser Seufzer, wenn sie vom fortgesetzten Pflücken, Säubern und Einmachen der verschwenderisch reichen Ernte sprach, gehörte zu ihrer Erzählung wie die verblichene Schwarzweißaufnahme an der Wand.

      Gelegentlich kam Onkel Paul zu Besuch, um von morgens bis abends beängstigend erfolgreich zu angeln. Töten konnte er nicht, das war Aufgabe der Kinder. Auf dem Küchentisch schnitten sie den kleinen, zappelnden Flussfischen mir nichts dir nichts die Köpfe ab.

      Großmutter briet sie und wollte gelobt sein.

      „Wie schmeckt’s dir denn, Paul?“

      „Der Hunger treibt’s rein!“

      Für die Kinder von damals waren Haus und Grundstück schiere Last, die sie vom Baden und Spielen abhielt. Später, als sie erwachsen wurden, bot sich keine Möglichkeit mehr, ihre Sommerfrische schätzen und lieben zu lernen.

      Es war Krieg.

      Der Bruder kam um.

      Was blieb, war die Erinnerung.

      Erinnerungen an eine Sommerfrische habe ich mehr als genug.

      Eigene Erinnerungen.

      Gute und schlechte.

      Damals dachten wir nur an gute - damals ahnten wir noch nichts Böses. Das glückliche Ende schien jedes Jahr vorbestimmt. Es sollte ein märchenhafter Urlaub werden. Wie schon zuvor in vergangenen Jahren.

      Es war einmal ...

      Dabei fangen auch Märchen meist gar nicht gut an.

      Aber Hauptsache Ende gut - alles gut.

      Doch die Vorzeichen dafür standen schlecht.

      EINS

      Ich hatte nicht darum gebeten.

      Meine Erinnerung an einen fernen Sommer in den Bergen wird heute morgen unvermutet aufgefrischt.

      Sanne hat Ferien und die Post hereingeholt.

      Ich spüre, wie sie zögert, und wende mich um. Zwischen uns, doppelt verschnürt, liegt der Karton mit den fremden Marken. Mein Name steht drauf.

      Ich habe die Hände im Spülwasser. Trotzdem weigert sie sich, das Päckchen für mich zu öffnen. Nach einem zweiten Blick auf den Absender schüttelt sie abwehrend den Kopf, zurrt ihr Haargummi fest, läuft die Treppe hinauf in ihr Zimmer.

      Schließt deutlich hörbar die Türe.

      Unwillig trockne ich die Hände, zerschneide die Schnüre.

      Seidenpapier knistert unter meinen Fingern, leuchtet rein wie frisch gefallener Schnee. Ein Umschlag liegt mit in der Schachtel - Kartengruß des Hauses und Dank für den Feriengast, den wir einmal empfohlen haben.

      Ein feuchter Film legt sich auf meine bloßen Arme, ich spüre, wie mir der Schweiß ausbricht. Ich will es schnell hinter mich bringen, reiße die schützende Umhüllung auf, hebe den Inhalt sorgsam heraus.

      Nun liegt es auf meiner flachen Hand - das Geschenk des Hotels.

      Die Kuppel ist eine drückende Last. Dickes Glas wölbt sich über dem Raum, in dem sich ein einzelnes Haus befindet. Zögernd bringe ich die gläserne Zelle in Augenhöhe. Mein Herz macht einen Sprung.

      Geborgen in der Form ruht der Scheunenhof .

      Wetterabweisend und Zuflucht bietend breitet das schiefergedeckte Dach seine Fittiche über Balkone und Außenmauern - allzeit gerüstet, wie es mir scheint, für die Schneemassen künftiger Winter.

      Der Scheunenhof war mein Lieblingshotel.

      Abbild und Wirklichkeit gleichen sich.

      Rund ums Haus Blumen. Hängende Blütenwunder in den Kästen der Balkonbrüstung.

      Ich trage die Schneekugel hinauf in mein Reich, spüre das glatte Glas in der Hand, fahre die Wölbung mit dem Finger nach, schließe die Augen und tauche ein in eine andere Zeit.

      Mein Herz fängt unkontrolliert an zu pochen.

      Tränen des Schmerzes drängen heraus.

      Bis