Schattenzeit. Sylvia Obergfell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sylvia Obergfell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847652526
Скачать книгу
1-a915-58d0-ba1b-3ba33589c867">

      Sylvia Obergfell

      Schattenzeit

      Die Prophezeiung

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1. Großvaters Geschichte

       2. Gefangen

       3. Sklavenleben

       4. Die Flucht

       5. Wiedersehen

       6. Der fahrende Musiker

       7. Entdeckungen im Seenland

       8. Im Nebelmoor

       9. Der Zauber der drei Hexen

       10. Eine alte Sage

       11. Eine böse Überraschung

       12. Die Prophezeiung

       Wichtige Personen

       Impressum neobooks

      1. Großvaters Geschichte

      Die dunkle Staubwolke am Horizont verkündete unheilvolles. Hunderte Hufe stampften durch den Staub der weiten Ebene, wirbelten ihn durcheinander, so stark, dass sich ein dunkler Film über die Sonne legte und hinterließen tiefe Abdrücke in dem weichen Boden. Sie waren noch weit entfernt und so konnte Laya sie vom obersten Turm der Stadtmauer beobachten, ohne Angst haben zu müssen. In einigen Tagen würden sie hier sein und dann würde sich Laya mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und allen Frauen, Kindern, Alten und Kranken in den unterirdischen Gewölben der Stadt verbergen, während die Männer draußen um ihr Leben kämpften. Nach einiger Zeit würden sie dann wieder abziehen, nachdem sehr viele Männer getötet worden waren oder sie... nein, diesen Gedanken wollte Laya nicht zu Ende denken, denn bisher war es den wilden Reitern noch nie gelungen in die Stadt einzudringen.

      Der Horizont war jetzt zum Stillstand gekommen, die Sonne warf glitzernde Lichter auf den noch immer aufgewühlten Boden und auch wenn man sie nicht mehr sehen konnte, spürte Laya die Gefahr, die hinter den flachen Sandhügeln lauerte. Die Barbonier oder wilden Kerle, wie sie im Volksmund genannt wurden, waren schreckliche Menschen: Sie überfielen Städte, plünderten, raubten, töteten alle Männer und verschleppten die Frauen und Kinder als Sklaven in ihr Heimatland. Sie hatten wilde Haare, lange Bärte, wuschen sich nie und sollten sogar ihre eigenen Kinder verspeisen. Sie lebten in Höhlen im Dreck, konnten nicht lesen und auch nicht schreiben und das Beste wäre, man würde sie in ein großes Loch werfen und haufenweise Erde darüber schütten. Das sagte zumindest der Stadtrat Hiaundu, der schon zwei Söhne an die wilden Kerle verloren hatte. Der Staub am Horizont legte sich nun wie ein Schleier wieder auf die Erde und man konnte das gewöhnliche Hitzeflimmern der Sonne sehen.

      „He Laya, du gehst besser nach unten, wenn die Barbonier angreifen hast du hier nichts verloren!“ hörte Laya hinter sich die Stimme des Wachmannes Greb, dem sie es zu verdanken hatte, diese aufregenden Momente auf dem Turm erleben zu dürfen. Sie sprang mit einem großen Satz alle Treppen auf einmal hinab und stand Greb auf der Mauerbrüstung gegenüber. Er wirkte gewaltig in seiner Uniform mit dem goldenen Stadtwappen und seinem Gewehr in der Hand, aber sein Gesicht sah schmal, müde und traurig aus und verriet so das Gegenteil.

      „Warum greifen sie an?“ fragte sie ihn und erntete einen verständnislosen Blick, denn mit dieser Frage hatte Greb wohl nicht gerechnet. Schon lange Zeit hatte niemand mehr nach dem Warum gefragt.

      „Wie meinst du das?“ rettete sich Greb in eine Gegenfrage, weil er offenbar nicht wusste, was er antworten sollte.

      „Warum greifen sie an?“ wiederholte Laya ihre Frage und machte dabei einige Schritte in Richtung der Treppe, die nach unten führte.

      „Es sind die wilden Kerle“, antwortete Greb, als wäre das Erklärung genug.

      „Das weiß ich doch!“ rief Laya ungeduldig, „Ich meine was haben wir ihnen getan?“

      Darauf wusste auch Greb keine Antwort, zuckte mit den Schultern und setzte seinen Rundgang fort, um das unangenehme Gespräch zu beenden. Es war schon immer so. Seit Laya denken konnte, waren die Eronier und die Barbonier miteinander verfeindet und sie mussten sich verstecken und um ihr Leben fürchten, sobald die Staubwolken am Horizont auftauchten und solange sie sich erinnern konnte waren junge Eronier ausgezogen, um dem Schrecken ein Ende zu bereiten. Früher hatte der Großvater ihr Geschichten erzählt, von einer Zeit in der mal Frieden geherrscht haben sollte in diesem Land, aber das war schon so lange her, dass sich nur noch der Großvater ihres Großvaters daran erinnerte.

      „Was ist Frieden?“ hatte sie damals gefragt.

      Schnell lief Laya die schmalen Stufen hinunter und wurde sofort von einer Woge des Stadtlärms empfangen. Die Stadt war laut und überfüllt. Überall tummelten sich die Menschen, die aus dem ganzen Land geflohen waren, um in einer der letzten sicheren Städte Unterschlupf zu finden. Die Stadtbewohner hatten alle freundlich aufgenommen, aber die Zimmer waren so überfüllt, dass viele auf der Straße leben mussten, das Essen wurde knapp, weil es auf dem Land nur noch wenige Bauern gab und die vielen Verwundeten konnten von den wenigen Ärzten nicht ausreichend versorgt werden. Jetzt lag eine düstere Stimmung über der Stadt, alles rannte kreuz und quer durcheinander, Mütter schrien, Kinder weinten, Soldaten brüllten und die Männer versuchten sich gegenseitig Mut zuzusprechen. Laya drängelte sich durch eine Gruppe Frauen, die gerade dabei war, sich um die letzten Brote zu streiten, denn man konnte ja nie wissen, wie lange der Kampf dauern würde, umging ein provisorisches Zelt, das irgendjemand dort aufgebaut hatte und rammte einige Soldaten, die einen Verletzten auf einer Trage transportierten.

      „Kinder sollten in diesen Zeiten lieber zuhause bleiben!“ rief der eine ihr grimmig zu, schüttelte die Faust und verlor dabei beinahe die Trage aus seiner anderen Hand. Laya streckte ihm die Zunge heraus und rannte schnell davon. Sie kam jetzt in eine schmale Gasse, in der der Menschenschwarm merklich nachließ und atmete erleichtert aus. Die Häuser strahlten Dunkelheit und Kälte aus, obwohl sie voller Menschen waren und Laya lief schnell bis zur vertrauten Eichenholztür mit dem Löwenkopf als Klopfer. Sie klopfte dreimal und fragte sich, warum die Menschen ihre Türen nicht einfach offen ließen. Fast konnte man meinen, sie hätten mehr Angst vor sich selbst, als vor den wilden Kerlen, aber in diesen Tagen waren natürlich auch viele Plünderer und Diebe unterwegs. Hinter der Tür näherten sich hastige Schritte und ein schmales, aber sehr hübsches Gesicht mit tiefen schwarzen Augen, feinen Wimpern und einem vollen roten Mund sah heraus. Sofort lag ein Vorwurf auf dem Gesicht ihrer Schwester, während sie die Tür ganz öffnete und Laya eintreten ließ. Obwohl ihre Schwester nur drei Jahre älter als Laya, mit ihren siebzehn