Ein ganz böser Fehler?. Mike Scholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Scholz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131466
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      *

      Beim Abschiednehmen werden wir uns darüber einig, dass sie mich aller zwei Tage besuchen kommt. "Uno­rallm ohne mei Mutte. Ich möch mi diralleisein uni ständi ihr lände Gsich deiham." Denn plötzlich kann ich mich wieder daran erinnern, dass ich in mei­ner Kindheit wie das letzte Stück Dreck behandelt wurde: Ich durfte jeden Mist machen, um dann doch nur Prügel dafür zu bekommen. Gelobt – kann mich nicht erinnern, jemals gelobt worden zu sein. Meine guten Leistungen in der Schule – uninteressant. Von Bedeutung war nur meine Ordnungszensur, ständig 'genügend'. Aber ich wurde doch dazu animiert! Sie selbst war und ist eine große Schlampe! Saubere Wohnung – Fremdwort für sie. Dafür spielte sie al­lein immer so ein beklopptes System von Mensch-är­gere-dich-nicht. Oder machte Kreuzworträtsel.

      Ich spüre, dass da noch mehr in meiner dafür re­servierten Kammer auf einen Ausbruch wartet. Was wird es noch sein, was mich dann völlig von ihr ab­stößt?

      5

      11. September. Vormittag.

      Diesmal habe ich es geschafft aufstehen; wenn auch nur mit Mühe und Not. Und stehe jetzt neben dem Bett. – Da meine Aufpasseramme entlassen wor­den ist, kann ich mir das ohne Probleme leisten. Die anderen gucken nur misstrauisch und als ich ihnen sage, dass sie nicht klingeln sollen, drehen sie sich wieder ab. – Jetzt Lauscher ausfahren, denn ich möchte bei meinem Ausreißversuch nicht gestört wer­den.

      Doch niemand ist zu hören. Schnell noch ein letz­tes Mal umschauen – von den anderen Patienten ach­tet keiner auf mich, also kann ich starten.

      Der erste Schritt. Der zweite. – Dabei halte ich mich aber lieber fest, denn ich bin ja schon lange nicht mehr gelaufen.

      Überraschend kommt plötzlich eine Schwester her­ein. – Innerliches Aufstöhnen – habe sie gar nicht ge­hört –, dann lasse ich mich grinsend ins Bett zurück­fallen.

      "Na, wo willst du denn hin?", fragt sie mich.

      "Lieg is äääh lanweil."

      "Jetzt bleibst du erst einmal liegen, gleich gibt es Mittag."

      Nachdem sie mich gefragt hat, wie viel ich will (was jeden Tag passiert), dreht sie wieder ab.

      Na gut, das Mittagessen wird noch abgewartet, dann geht es auf Tour.

      *

      Nach der Mittagsruhe richte ich mich wieder auf und strecke mein Ohr wieder in Richtung Außenterrain: Stille.

      Ich stehe auf.

      Jetzt ein Schritt nach dem anderen – langsam, fest­haltend.

      Dann vorn am Bett. Doch da sich mein Bettaus­gang an der Wandseite befindet, muss ich um das Bett herum, also an der Fußseite entlang.

      Der erste Schritt, noch einer – plötzlich knickt mir das rechte Bein weg. – Wieder das rechte! Was ist nur los mit ihm?

      Schnell versuche ich, mich am Bett festzuklam­mern, was aber auch schief geht. Ich falle, purzele al­lerdings geruhsam unter das Bett.

      Zum Fluchen komme ich nicht einmal, da die an­deren Patienten sich mir interessiert zuwenden.

      "Ni kling, ich schaffsallee!", zische ich schnell, da­mit es draußen niemand mitbekommt. Und ächze mich schnellst möglichst unter mühsamer Aufbrin­gung aller Kräfte ins Bett zurück.

      *

      Nach einer dringend benötigten Verschnaufpause ste­he ich wieder auf. Rechts vom Bett steht ein Stuhl, den ich erst mal ansteuern will, um mich dort kurz er­holen zu können. Er steht aber nicht genau am Bett, sondern ich muss erst vom Bett wegtreten. Aber zu­erst um das Bett herum.

      Noch langsamer als vorhin, noch vorsichtiger, denn ich kenne ja nun die Unteransicht des Bettes, brauche sie nicht noch ein drittes Mal zu besichtigen, meine Augen kleben fast am Fußboden.

      "Phhh, gschafft."

      Jetzt noch zum Stuhl und dann wäre der erste Ziel­ort erreicht. Doch wie mache ich das am besten?

      Ich bleibe stehen, denke nach. Und nach einer kurz­en Weile fällt es mir ein: Immer an der Wand lang, na klar!

      An der Wand stehend schätze ich den Raum bis zum Stuhl ab: Circa einen Meter. Doch alles frei um ihn herum, keine Möglichkeit zum Festhalten. – Den Meter schaffe ich auch noch, wäre ja gelacht, wenn nicht.

      Wankend, schnell das linke Bein wieder zum Stand bringend – wobei mir mächtig die Kraft aus­geht –, erreiche ich den Stuhl und lasse mich er­schöpft auf ihn fallen; wobei mir klar wird, dass ich erst mal eine Weile sitzen bleiben muss, um wieder Kraft zu tanken. Trotzdem – den ersten Teil habe ich geschafft!

      Eine Schwester kommt herein. Verdutzt schaut sie mich an.

      "Wie bist du denn in den Stuhl gekommen?", schaut sie sich misstrauisch um.

      "Gloufe", bekommt sie lakonisch von mir zu hö­ren. Und genieße dabei wohlig die von ihr ausge­strahlte Überraschung.

      "Willst du bis zum Abendbrot im Stuhl sitzen blei­ben?"

      Ich nicke, hätte augenblicklich auch nicht die Kraft aufzustehen und zu flüchten. Außerdem wäre es jetzt völlig sinnlos abzuhauen, da es ja gleich was zu mampfen gibt. Denn zu dem Zeitpunkt laufen zu viele herum.

      6

      Mittwoch, 12 September. Morgens.

      Nach dem Frühstück bin ich wieder mal dabei, mich in den Stuhl zu bugsieren, nur hilft mir diesmal eine soeben eingetretene Schwester.

       Eigentlich könnten wir ja gleich weiterlaufen; wo­bei ich ihr natürlich nicht erzählen darf, dass ich ab­hauen will.

      "Könntst Laufübung mitir mach, Schwesterchn, äh hm?" – So nenne ich alle hier befindlichen Kranken­schwestern.

      "Was für Zeug?"

      "Laufübu--ngen. Od meinst, ich wi ew so rum-äh-hoppen?"

      Sie schaut mich ungläubig an, dann grübelt sie nach.

      "Heute Mittag, eher habe ich keine Zeit", ist sie sich dann schlüssig geworden. "Außerdem brauche ich noch jemanden dazu."

      Das letzte Phonem spricht sie gar nicht mehr rich­tig aus, dreht schnell ab und verschwindet – wahr­scheinlich, damit mir nicht noch mehr einfällt.

      *

      Ich warte und sitze, sitze und warte – furchtbar lang­weilig. Auch habe ich keine Ahnung, wie spät es ist. Ohne Uhr ist das schlecht möglich (meine Mutter ist der Meinung, ich brauche keine) und eine innere Zeit­uhr besitze ich nicht. Ergo gehe ich den Schwestern, immer wenn sie kommen, gehörig auf den Geist, for­dere stets Laufübungen, gebe keine Ruhe mehr – ir­gendwann muss es ihnen doch mal zu bunt werden und irgendwann müssten sie mir doch mal den Wunsch gewähren.

      *

      Schließlich werde ich erhört: "Auf geht's, jetzt ist die Laufübung dran."

      Sofort werde ich nervös, fühle eine nervliche An­spannung in mir. Doch wahrscheinlich ist es immer so, wenn man etwas heiß ersehnt und nach endlosem Warten endlich erhält. Deshalb achte ich auch nicht weiter darauf; und einen Rückzieher zu machen kommt sowieso nicht in Frage.

      Sie heben mich an den Armen auf die Füße: Ein herrliches Gefühl, ohne festhalten wieder auf den ei­genen Beinen zu stehen. (Die Schwestern halten mich an den Oberarmen, so dass ich die Hände nicht ir­gendwo dagegenstemmen muss.)

      Der erste Gang in Richtung Tisch. Manchmal kni­cken mir die Beine weg, aber es muss weitergehen, denn schließlich will ich ein Ziel erreichen. Dabei merke ich aber, dass es ohne Hilfe noch (!) nicht ge­hen würde. – Also muss ich weitertrainieren! Das ist die einzige Möglichkeit!

      Vom Tisch