Ein ganz böser Fehler?. Mike Scholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Scholz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131466
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glaube, mich verhört zu haben: Warum will sie mir das verheimlichen?

      Plötzlich durchzuckt mich ein Schatten, der mir zuflüstert, ich hätte schon vor meinem Hiersein nicht das beste Verhältnis zu ihr gehabt. Aber das warum, wieso, weshalb usw.. bleibt im Dunkeln. Nur katapul­tiert es mich zögerlich doch stetig zu der Überzeu­gung, dass sie die Ursache für diesen Schlamassel ist: Vielleicht will sie mich wieder an sich binden, damit ich ihr den Dreck wegräume.

      Ich stutze: Woher kommt dieser Gedanke schon wieder? Und spüre, dass sich irgendetwas hinter die­sem Blitz verbirgt, irgendeine Wahrheit, vielleicht ir­gendetwas mich aufklärendes, zu dessen Schloss ich aber den Schlüssel nicht finden kann, vielleicht nie mehr finden soll und deshalb nie mehr finden werde.

      Wütend schaue ich vor mich hin. Die Wärme, die ich so wohltuend empfand, hat sich in Luft aufgelöst; wenn ich meine Mutter ansehe, fühle ich, wie Erinne­rungen an die Oberfläche wollen, nur noch keine Öff­nung finden. Und ich muss ehrlich sagen: Ich habe Angst vor den Erinnerungen; und doch gelüstet es mich, den Schleier von ihnen herunterzureißen, mich den sicher existierenden Komplikationen zu stellen.

      Meine Mutter und meine Schwester – sie nimmt mein Geschriebenes mit, um sich mit ihm vertraut machen zu können – gehen wieder; mit dem Verspre­chen, auch morgen wiederzukommen.

      3

      Sonntag, 9. September. Früh.

      Wie jeden Morgen ist Visite angesagt. Die Ärzte sind bei mir angekommen, schauen sich die Papiere an. Dann fragen sie mich, ob es mir gut gehe. Dabei erwarten sie bestimmt wieder, dass ich ein Zeichen gebe. Aber ich will unbedingt endlich antworten, habe es noch nicht aufgegeben.

      "Ja."

      Sie schauen ganz verdutzt.

      Ich bin es auch.

      "Was?"

      "Gu." Dazu lächle ich sehr zufrieden. Endlich wie­der einen Ton gesagt.

      "Er kann wieder sprechen! Er bessert sich weiter!" Die Überraschung und auch die Freude darüber ist den Ärzten anzusehen.

      Mein Lächeln wird verschmitzt, tue so, als könnte ich es schon lange, habe es ihnen nur die ganze Zeit nicht verraten.

      "Und jetzt weiter üben, damit es nicht wieder ver­schwindet!", ermahnen sie mich im Weggehen noch.

      Mein Wortschatz ist leider noch nicht groß genug, um fragen zu können, was hier eigentlich los ist. Im Kopf sind die Wörter klar, doch mit der Artikulation klappt es noch nicht so. Also halte ich ein paar Mono­loge ab, damit er sich erweitert. Aufzustehen stellt jetzt kein Priorität für mich dar, das Sprechen ist wichtiger.

      *

      Am Nachmittag kommt meine Mutter mit einem hüb­schen Mädchen, die ich irgendwoher kenne; aller­dings nicht weiß woher.

      "Hall."

      Meine Mutter stutzt. "Mike, du kannst ja wieder sprechen! Das ist also die Überraschung, von der die Schwestern sprachen."

      Nicken. Und ich genieße ihre Verwunderung. Denn ich war es ja auch mal, wenn ich es auch mitt­lerweile als die selbstverständlichste Sache der Welt ansehe. – Ist ja eigentlich auch völlig normal, dass ein Mensch spricht. Noa??

      Während sie auspackt, was sie mir mitgebracht hat, schaue ich mir das Mädchen genauer an: Sie lä­chelt freundlich, ich spüre wieder diese wonnige Wär­me, die aber diesmal nicht von meiner Mutter ausgeht und auch eine andere ist.

      Woher kenne ich die bloß?

      Meine Mutter bemerkt diesen Blick. "Kennst du sie?", fragt sie mich deswegen.

      "Jaaa", bin ich noch am Überlegen.

      "Und wie heißt sie?"

      Eigentlich habe ich ja ein gutes Namensgedächt­nis, aber hier? Richtig peinlich so was. Also muss ich raten, was soll's: "Dianaa."

      "Nein, Pia. Und sie ist deine Freundin. Weißt du das noch?"

      Aha, sie ist meine Freundin. Daher kenne ich sie also. Und Pia heißt sie? Soso. Na ja, Hauptsache, meine Freundin.

      "Ja, kese." Damit verschwindet das Fragen in mei­nem Blick. Ich schnurre.

      In dem Gesicht meiner Mutter blitzt kurz ein Aus­druck der Enttäuschung auf. Doch der ist sofort wie­der verschwunden.

      Warum ist sie enttäuscht? Verbirgt sie irgendet­was vor mir? Sie will mir nicht sagen, warum ich hier bin, ist enttäuscht, dass ich meine Freundin wieder erkenne ...

      DAS LETZTE STÜCK DRECK!

       Was war das? Was hat das schon wieder zu be­deuten? Keine Ahnung, doch später werde ich mich darum kümmern.

      *

      Meine Mutter macht sich zum Aufbruch bereit. Wo­hingegen Pia jetzt richtig auf den Plan tritt: "Wie geht es dir, Mike?"

      "Gan gu", schaue ich ihr jetzt tief in die Augen.

      "Soll ich wiederkommen?"

      Ich möchte antworten "natürlich", bekomme aber nur ein Nicken heraus. Kann dafür aber weiter lä­cheln.

      "Ich mache jetzt los, Mike." Ruhig und beschwö­rend redet sie auf mich ein, wie ein Dompteur auf sei­nen tierischen Schützling. – Bin ich ein angeschlagene­s Raubtier? – Sie gibt mir noch einen Kuss auf die Wange; ich nehme ihre Hand, streichle diese. Dann geht auch sie.

      Pia heißt sie also. Kann mich zwar nicht erinnern, jemals eine Pia gehabt zu haben, aber der Name ist ja auch nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass ich je­manden liebte und liebe – Oder lieben werde? Habe ich mit ihr eigentlich schon gepennt? Oh peinlich, das will mir auch nicht einfallen. Kenne ich doch überhaupt nicht von mir. Erst weiß ich den Namen nicht, dann weiß ich nicht, ob ich mich schon mal von ihr habe verführen lassen ... eeh bin ich überhaupt Mike Scholz? Es nützt nichts, ich muss mal irgend­wann demnächst in den Spiegel gucken. Doch was ist, wenn ich nicht Mike Scholz bin??

      4

      Montag, 10 September. Nachmittag.

      Pia ist da. Allein. Vorhin waren meine Mutter und meine Schwester hier, wobei meine Mutter den Vor­schlag ablehnte, mich aus dem Bett zu nehmen und in einen Stuhl zu setzen. Überhaupt kam es mir so vor, als wenn sie heute nur zur Pflichterfüllung hier gewe­sen wäre; lediglich meine Schwester zeigte Anteil­nahme, versuchte, mein Gekritzeltes zu entziffern. Doch dem jetzigen Augenblick messe ich viel mehr Bedeutung bei: Ich habe Pia gefragt, warum ich hier bin.

      "Hat dir das noch niemand gesagt?", fragt sie un­gläubig.

      Ich schüttle den Kopf. Zwar hatte ich mal bei den Schwestern nachgefragt, doch so richtig Auskunft ge­ben konnten sie mir auch nicht. – Oder wollten nicht?

      "Gut, dann werde ich versuchen, es dir zu erklären. Allerdings weiß ich auch nicht allzu viel davon: Also, du hast versucht, anderen, die einen Unfall hatten, zu helfen. Dabei bist du angefahren worden. Das ist al­les."

      Wovon spricht sie – ich wäre angefahren worden? Davon weiß ich doch gar nichts. Vor allem, ich bin doch ein vorsichtiger Typ. Wie kann mir das also passieren? Fragen über Fragen. Sie hat mir zwar eine beantwortet, dadurch sind aber wieder eine Menge neuer aufgeworfen worden.

      "Wasa si äh äh abspiel?"

      "Ich kann dir auch nicht mehr sagen, ich saß mit dem Rücken dazu."

      Sie war also dabei, doch sie weiß auch fast nichts. Oder soll ich bloß eingelullt werden? Nee, glaube ich nicht, dass sie mit meiner Mutter unter einer Decke steckt. Weiß nicht warum, doch ich glaube es nicht. Also dürfte sie die Wahrheit gesagt haben. Doch – wie soll man das kombinieren? Schlussfolgerungen – no chance. Ich begreife es nicht. Kann es nicht be­greifen. Will es nicht begreifen? ist es wirklich so ir­rationell? Wieder mal weiß ich es nicht, so wie ich zurzeit eigentlich nichts