Ein ganz böser Fehler?. Mike Scholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Scholz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131466
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ja, ich bin ja kein Experte. Aber – willst du meine Meinung hören oder die, die in den Schulbü­chern steht?"

      "Deie natürch! Sonst hättchjani gefagt!"

      "Also – es ist unterschiedlich. Es kann vier Wo­chen dauern, zwei oder vier Monate, aber auch ein halbes Jahr. Manchmal sogar ein ganzes Jahr."

      "Un wielange wirds bei mir dauen?"

      "Das kann ich dir eben nicht sagen. Zum Teil hängt es von dir selbst ab."

      "Allo anklotzn. Sis offedenfall niunmögich, in vier Wochn rauszusei?"

      "Ich sehe, du hast es richtig kapiert. – Übrigens, war deine Mutter heute da?", wechselt sie das Thema. Und nachdem ich verneint habe: "Langsam wird das bedrohlich wegen deiner Anziehsachen. Wenn sie nächste Woche immer noch nicht da war, werden wir ihr die Fürsorge auf den Hals schicken."

      "Fürsorje? Was isn dat?"

      "Etwas Amtliches. Da kriegt sie auf jeden Fall gro­ßen Ärger.

      Klingt gut. Denn es kann ja wohl nicht sein, dass sie mich hier hängen lässt. Feuern aus allen Rohren. Und ich werde mich darum bemühen, ein paar Rohre aufzutreiben.

      *

      Kurz vor dem Einschlafen ziehe ich mein Tagesfazit: In vier Wochen kann ich also raus sein! Noch vier Wochen, an denen ich ganz hart arbeite muss! Doch dann kann und werde ich dem Mist hier mein Winke–Winke geben. Vier Wochen noch und dann werde ich endlich wieder frei sein!

      3

      Sonntag, 23. September. Abends.

      Gabi – die ich mittlerweile zu meiner Lieblings­schwester gekürt habe – erscheint mit einem Rollstuhl in der Tür.

      "Na, hast du Lust, zum Essen am Tisch zu sitzen?", fragt sie mich.

      "Ich halLust", strahle ich und versuche mich zu er­heben.

      "Nicht so hastig, Mike. Es geht sofort los." Und hievt mich aus dem Bett.

      Blödes Gefühl, im Rollstuhl zu sitzen. Zu den Gleich-Großen oder auch Kleineren, eigentlich zu al­len, schaut man auf wie zu Außerirdischen überlege­ner Intelligenz. Man kommt sich vor wie von der Ge­meinschaft ausgestoßen – Vielleicht ist man es dann auch?? –, wartet darauf, dass sich mal jemand er­barmt, sich zu dir herunterzubeugen und dir zuzuhö­ren. Nee, an den Rollstuhl werde ich mich nie gewöh­nen können. – Wo kommt auf einmal der blöde Ge­danke her? Es besteht doch überhaupt kein Zweifel daran, dass er nur eine Übergangslösung ist! Dass er mich nur befreit vom Essen im Bett! Ich mag zwar Frühstück im Bett, doch hat das hier ja wohl über­haupt nichts damit zu tun. Ich habe es nur ganz ein­fach satt, tagein, tagaus und dazwischen auch ständig im Bett zu hocken.

      *

      Nach dem Essen hat sie mich im Fernsehraum abge­stellt. Dort schaut sich gerade eine Gruppe Patienten, die auf den vor einem Plattenspieler mit Radio ste­henden Sesseln sitzen, auf dem Farbfernseher irgend­eine Klatschserie an. Aber ich widme mich etwas viel Wichtigerem: Ich schaue in mich hinein, in der Hoff­nung, etwas Neues zu entdecken, vielleicht sogar et­was darüber herauszubekommen, wo ich jetzt stehe, und in die Zukunft zu sehen, was als nächstes auf mich zukommt, wie ich es lösen werde: Eines ist mir klar geworden: Auf meine Mutter brauche ich nicht zu hoffen. Zwar dürfte ich auch einen mehr oder min­der großen Schuldanteil besitzen, doch mir scheint, sie betrachtet mich nicht mehr als vollwertiges Be­standteil ihrer Umgebung. Und ich glaube – nein, ich weiß es, ich kann mich wieder sehr, sehr dunkel dar­an erinnern –, dass sie früher schon darunter gelitten hat, mich zu akzeptieren, und so dürfte sie jetzt noch vielmehr darunter leiden, dass sich daran nichts ge­ändert hat. Aber was ist eigentlich nun mit mir pas­siert? Sollte das mit dem Unfall etwa stimmen? Dann müsste ich ja einen totalen Filmriss haben. Und neh­men wir mal an, es stimmt, was mir da drüber erzählt worden ist, so lässt sich doch keine Schlussfolgerung daraus ziehen, tauchen nur Schemen auf, kein Bild aber. Okay, ich glaube, von der Annahme, dass ich verscheißert werde, kann ich abgehen. Da würden zu viele mit drinnen hängen. Was zu sehr nach irrealem mieft. Allerdings – was ist hier noch real? Was von dem, was jetzt über mich hereingestürzt ist, gehört nicht in die Märchenwelt? Keine Ahnung. Kommt auch davon, dass ich mich an nichts erinnern kann, was letzen Monat passiert ist. Mache ich mir vielleicht selber etwas vor? Möglicherweise bin ich doch gar nicht Mike. Aber das ist doch wieder der Punkt, an dem ich mich schon tausendmal geklammert habe. Es bleibt dabei: Ein Blick in den Spiegel muss her. Um erst einmal über eine Seite Klarheit zu bekommen. Und das muss sehr bald geschehen.

      4

      Montag, 24. September. Vormittag.

      Frau Miller hält mir siegesbewusst eine Krücke vor die Nase: "Na Mike, wollen wir es mal probieren?"

      "Wechne Frage. Natürch!"

      Während ich antworte, betrachte ich mir das Cor­pus Delicti: Ein einfacher Stab mit einem Knick dar­in, oben ein Polster – für den Ellbogen nehme ich an –, in der Mitte ein Griff; auch hat sie nur eine kleine Oberfläche für das Halten auf der Erde. – Wie soll ich denn damit laufen können?! – Mike, so viele können es. Also kannst du es auch. Hast es zu können!

      Frau Miller hilft mir hoch, klemmt mir die Krücke – die sie Unterarmstütze nennt – unter den linken Arm. "Du musst sie immer mit dem rechten Bein konform führen. Dabei lehne dein Gewicht nach links. Nicht zu mir, denn ich werde dich rechts halten. Wirst du das schaffen?"

      "Ichersuch. Und fliegn kannja dabeini, denn Sies­inja meie Lebensversi-si-sichung. Ich lege aaso meie Hänede inihr Leben – äh – mei Läbn inIhe Hände. Vertaue droff, dassiesni missbauchn. Alldings – viel­leich könnjaou ihe Anziehkaff zugoss fürmisei."

      Sie – komisch guck.

      *

      Ich laufe los. Oder besser, ich versuche es. Komme mit dem Rhythmus, den ich dabei brauche, ja mit der Krücke selber nicht klar.

      Ich muss es schaffen! Habe keine andere Wahl!

      Als wir im Zimmer eine Runde gedreht haben, meint sie, dass es für heute reicht.

      Zähneknirschend gebe ich ihr Recht. Denn ich muss mir selbst eingestehen, dass es für mich noch ungewohnt ist, mich so zu belasten – mich überhaupt zu belasten –; es geht mörderisch in die Knochen – Das winzige Stück. Unklar!

      "Für den Anfang lief es nicht schlecht", urteilt Frau Miller entgegen meiner eigenen Überzeugung, "aber du musst dein Gewicht auf die Unterarmstütze verlegen und vor allem das Knie durchdrücken. – So, und jetzt machen wir ein bisschen Gymnastik."

      *

      Danach erkundige ich mich nach zwei oder mehreren Behandlungen am Tag.

      "Zweimal werden wir sehen, aber mehrmals – du bist nicht der Einzige hier."

      "Dasis mischo klar, aberih wielhie niewsch bleibn. Iwill so schell wie mögich waseichn, dennich willaus hier."

      "Das weiß ich doch. Ich werde mal sehen, was sich machen lässt. Okay?" Und zwingt mich mit ihrem Abgang dazu, es zu akzeptieren.

      5

      Dienstag, 25. September.

      "Die bringe ich nun jeden Tag – oder besser, ich lass sie gleich hier", verkündet mir Frau Miller, die soeben in der Tür erschienen ist und auf die von ihr mitgebrachte Krücke weist; "du wirst ja damit keine Versuche starten, oder?"

      "Ach, iwo. Ich bidoni lebensmüd-e." Gut, dass ihr meine Aktionen in der ITS nicht bekannt sind. Denn dann würde sie die Krücke wohl kaum hier lassen.

      *

      Während ihrer Gymnastik will sie wieder wissen, ob inzwischen meine Mutter hier war. Und nachdem ich den Kopf geschüttelt habe, ist sie sich dessen be­wusst, dass nun etwas eingeleitet