Anna das Mädchen aus Dalarne. Selma Lagerlöf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Серия: Löwensköld-Trilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754179987
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       Selma Lagerlöf

       Anna das Mädchen aus Dalarne

      Die Reise nach Karlstadt

      1

      Was man auch gegen Thea Sundler einwenden mag, das eine muß man zugeben, sie verstand es besser als irgend jemand, Karl Artur Ekenstedt zu behandeln.

      Denkt man zum Beispiel an Charlotte Löwensköld, so hatte auch diese versucht, ihn zu veranlassen, nach Karlstadt zu fahren und sich mit seiner Mutter zu versöhnen. Aber um ihn dazu zu bewegen, hatte sie ihn an alles erinnert, was ihm die Mutter gewesen war, und zuletzt hatte sie es tatsächlich versucht, ihn damit zu erschrecken, daß er nicht mehr so gut werde predigen können wie bisher, wenn er undankbar gegen seine Mutter sei.

      Das war ganz so, als wollte sie, daß er wie der verlorene Sohn kommen und flehen sollte, wieder in Gnaden im Elternhaus aufgenommen zu werden. Aber in der Geistesverfassung, in der er sich damals befand, war das nichts für ihn, der so große Erfolge mit seinen Predigten gehabt hatte und von der ganzen Gemeinde hochgeschätzt wurde.

      Thea Sundler griff es ganz anders an, als sie ihn veranlassen wollte, wieder nach Karlstadt zu reisen. Sie fragte ihn, ob das wahr sei, was sie von der lieben Tante Ekenstedt gehört habe, nämlich, daß diese verlange, man sollte sie auch für die kleinste Kleinigkeit, womit man sich gegen sie vergangen habe, um Verzeihung bitten? Aber wenn sie es bei andern so genau nehme, so sei sie wohl auch selbst willig und bereit … Ja, Karl Artur mußte zugeben, daß sie so sei. Im selben Augenblick, wo die Mutter einsehe, daß sie sich vergangen habe, sei sie auch bereit, es wiedergutzumachen und sich zu versöhnen.

      Da erinnerte ihn Thea an damals, wo die liebe Tante Ekenstedt im schlimmsten Tauwetter die gefährliche Reise nach Upsala unternommen hatte, nur damit er sie um Verzeihung bitten könne. Und sie wunderte sich darüber, daß er, ein christlicher Pfarrer, einen weniger versöhnlichen Sinn habe als ein gewöhnliches weltliches Menschenkind.

      Karl Artur begriff nicht so recht, wo sie hinauswollte. Er starrte sie nur unverwandt an.

      Aber Frau Sundler sagte, diesmal sei es die liebe Frau Oberst Ekenstedt gewesen, die sich gegen ihn vergangen habe, und wenn sie so gerecht sei, wie er behaupte, dann könne er ja nicht daran zweifeln, daß sie es jetzt bereute und sich von ganzem Herzen danach sehne, ihn um Verzeihung zu bitten. Aber sie könne ja nicht zu ihm kommen, weil sie krank sei, und darum sei es seine Pflicht, zu ihr zu reisen.

      Das war etwas ganz anderes, als womit ihm Charlotte gekommen war. Das hieß nicht, als verlorener Sohn zu den Eltern heimzukehren, sondern bei ihnen als Sieger einzutreten! Nun fuhr er nicht hin und flehte um gnädige Vergebung, sondern er erteilte sie. Es ist unmöglich zu beschreiben, wie sehr ihm das zusagte und wie dankbar er Thea war, die ihn auf diesen Gedanken gebracht hatte.

      Kaum war er am Sonntag aus der Kirche zurück und hatte bei Thea gegessen, als er sich auch schon auf die Reise nach Karlstadt begab. Ja, er war so eifrig, daß er die ganze Nacht hindurch fuhr. Er hielt sich mit dem Gedanken wach, wie schön es sein werde, wenn er bei der Mutter angelangt sei. Niemand vermochte eine derartige Begegnung so schön zu gestalten wie seine Mutter.

      Um fünf Uhr in der Frühe kam er in Karlstadt an; er ging aber nicht sofort nach Hause, sondern zuerst in den Gasthof. Über die Gesinnung seiner Mutter ihm gegenüber kamen ihm nicht die geringsten Zweifel, aber der seines Vaters war er nicht so ganz sicher. Es war durchaus nicht unmöglich, daß der Vater ihn nicht hereinlassen würde, und dem wollte er sich im Beisein des Kutschers nicht aussetzen.

      Der Wirt des Gasthofs stand auf der Hausstaffel und erkannte Karl Artur sofort als alten Karlstädter. Er hatte vielleicht ein Vöglein davon pfeifen hören, daß zwischen ihm und seinen Eltern ein Zerwürfnis entstanden sei, weil der junge Pfarrer ein Mädchen aus Dalarne heiraten wolle. Darum sprach, er vorsichtig und teilnehmend mit Karl Artur; aber dieser sah so ruhig und zufrieden aus und antwortete so munter, daß der Wirt anfing zu glauben, das Gerücht von einer Uneinigkeit sei aus der Luft gegriffen.

      Karl Artur verlangte ein Zimmer, wusch sich und kleidete sich sehr sorgfältig an. Als er wieder herauskam, trug er den Pastorenrock In Schweden tragen die Pfarrer den ganzen Sonntag über den Pastorenrock, den »Lutherrock«, einen langen zugeknöpften Gehrock und kleine Beffchen, über den in der Kirche der nur über den Rücken herabfallende Talar getragen wird. Anm. d. Ü., die kleinen Beffchen und den hohen schwarzen Hut. Er hatte sich in seine Amtstracht gekleidet, um der Mutter gleich zu zeigen, in welch frommer und priesterlicher Gesinnung er gekommen war.

      Der Wirt fragte ihn, ob er frühstücken wolle, allein er lehnte ab, denn er wollte den glücklichen Augenblick, in welchem er und seine Mutter einander in die Arme fallen würden, nicht länger hinausschieben.

      Rasch ging er durch die Straßen dem Klarelfstrande zu. In ihm war dieselbe große und freudige Erwartung wie zu jenen Zeiten, wo er als Student von Upsala in die Ferien nach Hause gekommen war.

      Aber plötzlich blieb er stehen und sah so verstört aus, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Er war dem Elternhause ganz nahe gekommen und sah, daß alle Türen und Fensterläden fest verschlossen waren. Im ersten Erstaunen fiel ihm ein, der Wirt hätte am Ende seinen Eltern Nachricht gesandt, daß er gekommen sei, und sie hätten das Haus verschlossen, um ihn nicht hereinzulassen. Er wurde feuerrot vor Zorn und machte sofort kehrt, um wieder abzureisen.

      Aber es dauerte nicht lange, da mußte er über sich selbst lachen. Es war ja kaum sechs Uhr, und um diese Zeit war das Haus immer fest verschlossen. Das war doch zu lächerlich von ihm! Wie war er nur auf den Gedanken gekommen, die Läden seien verriegelt und die Türen verschlossen, damit er nicht herein könne! Er ging zurück zur Gartentür und nahm auf einer Gartenbank Platz, um abzuwarten, bis das Haus erwache. Jedenfalls aber konnte er nicht umhin, es für ein schlechtes Zeichen anzusehen, daß die Heimat so fest verschlossen war, als er ankam. Mit seiner Fröhlichkeit war es aus. Die große Zuversicht, die ihn die Nacht hindurch aufrechterhalten hatte, war verflogen.

      Er betrachtete die schönen Blumenbeete und die gepflegte Rasenfläche. Und er betrachtete das große und schöne Haus. Und dann dachte er an sie, die über das alles herrschte und die so sehr geschätzt und gefeiert war, und er mußte sich selbst sagen: es ist unmöglich, daß sie mich um Verzeihung bittet. Es fehlte nicht viel, daß er weder sich noch Thea mehr verstehen konnte. In Korskyrka hatte er gemeint, es sei eine natürliche und selbstverständliche Sache, daß seine Mutter Reue empfinde, aber hier sah er seine Torheit ein.

      Schließlich war er davon überzeugt, daß er seines Weges gehen wollte. Ja, schon stand er auf. Er hatte es eilig, von hier wegzukommen, ehe ihn irgendein Mensch gesehen hatte.

      Aber als er bereits an der Gartentür stand, kam ihm der Gedanke, es sei vielleicht der allerletzte Besuch, den er in seiner Heimat mache. Wenn er jetzt gehe, dann sei es, um niemals wiederzukehren.

      Er wanderte an der Hausecke vorbei und gelangte unter die großen schönen Bäume am Flußufer. Ja, hier würde er also niemals mehr lustwandeln und die herrliche Aussicht genießen! Lange betrachtete er das Ruderboot, das heraufgezogen am Strande lag. Seit er fort war, kümmerte sich wohl niemand mehr darum; aber siehe da, es war geteert und gestrichen, ganz wie damals, als er noch darin zu rudern pflegte!

      Er eilte hin zu einem kleinen Gartenbeet, das er gehegt hatte, als er noch ein Kind war, und er fand auch dieses genau wie damals und mit ganz den gleichen Gemüsen bepflanzt, die er dort gezogen hatte. Und er begriff, es war die Mutter, die dies veranlaßt hatte. Sie war es, die dafür sorgte, daß das kleine Spielgärtchen erhalten blieb. Es waren mindestens fünfzehn Jahre vergangen, seit er es selbst bearbeitet hatte. Unter dem Astrachanbaum suchte er nach unreifen Äpfeln und steckte einen in die Tasche, obwohl er noch grasgrün und viel zu hart zum Hineinbeißen war. Und von den Johannis- und Stachelbeeren naschte er, obwohl sie schon alt und überreif waren.

      Er wandte sich dem Wirtschaftsgebäude zu und fand einen Schuppen, in dem er immer einen kleinen Spaten, einen Rechen und eine Schiebkarre stehen gehabt hatte. Er guckte hinein. Wirklich, alle drei Gegenstände befanden sich noch am selben Platz,