Alltagsgeschichten aus der DDR. Rainer V. Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer V. Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742763266
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      Rainer V. Schulz

      Alltagsgeschichten aus der DDR

      Erzählungen

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       E.R. GREULICH: Drei Anekdoten

       ERHARD SCHERNER: Konstantin Mugele

       HANS MÜNCHEBERG: Die Macht des Gesanges

       HELMUT H. SCHULZ: Eine Platte für Frank

       Uns trifft beide keine Schuld

       CHRISTA MÜLLER: Candida

       PETER GOSSE: Sechs Briefe an den Enkel

       URSULA REINHOLD: Neue Horizonte

       Hohe Schule oder wohin mit mir

       GUNTER PREUß: Ein Tag aus dem Leben des Ulli Ferch

       FRITZ LEVERENZ: Tanjas Bild

       BEATE MORGENSTERN: Gemüse-Erna

       Jenseits der Allee

       Bildnachweis

       Impressum neobooks

      E.R. GREULICH: Drei Anekdoten

      In der Professorenrunde des Fernsehfunks wurde einmal gefragt, was man davon halte, wenn ein Wissenschaftler seinen Vorgarten mit Gartenzwergen schmücke.

      Ein tiefernstes Hin und Her begann. Der einzig Heitere blieb der junge Professor H., der die Gipsgnomen in seinem Vorgarten stehen hatte, um die Leute zu testen.

      Nach der Sendung hielt sich ein bekannter älterer Professor an der Seite des Schalks und brummelte, wohl jeder Mensch habe irgendwo eine sentimentale Herzensecke, aber man müsse sie doch nicht so öffentlich preisgeben.

      „Unter uns“, raunte er, „ich mag die lustigen Wichtel auch. Aber ich habe meine auf dem Dachboden aufgebaut.“

       Immer die andern

      Roland Rettisch hatte einem Mädchen zugehupt, zu lange hingeschaut und war mit etlichen Brüchen, Quetschungen und Kratzern davongekommen, wogegen es der BetriebsPKW mit einem Totalschaden büßen musste. Nun stand der junge Minnehuper vor der Konfliktkommission.

      Der Vorsitzende fand den Fall verhältnismäßig überschaubar, da der Kollege Rettisch als einziger darin verwickelt sei. Als der zu Wort kam, erzählte er eine lange Geschichte, die seine Unschuld beweisen sollte. Endlich benutzte der Vorsitzende eine Atempause des Wortreichen und rekapitulierte:

      „Wenn ich Sie recht verstanden habe, Kollege, sind Sie mit der Geschwindigkeit von zehn, höchstens aber fünfzig Kilometern je Stunde die Adlerstraße entlanggefahren. Plötzlich bewegte sich eine Litfaßsäule ohne Vorwarnung auf den Fahrdamm zu und derart in Ihr Blickfeld, dass Sie hart nach links ausweichen mussten. Dadurch gerieten Sie bedrohlich in die Nähe eines Sandkastens der Straßenbahn, der ohne Warnlicht zu dicht am Bordstein parkte. Geistesgegenwärtig rissen Sie Ihren Wagen wieder auf die rechte Seite und damit gegen jenen Baum, der sich viel zu weit links befand und durch keinerlei Blinkzeichen auf sein Ausscheren aufmerksam gemacht hatte.“

      Der Sarkasmus erzeugte Heiterkeit im Raum, nur der motorisierte Heißsporn erklärte völlig ernst: „Sie haben die komplizierte Unfallsituation wirklich begriffen, Kollege.“

       (Erstmals veröffentlicht in „Der Pudel, der nicht Mephisto war“, Verlag Neues Leben, Berlin, 1979)

       Das erstaunlich Neue

      Dem Genossen L. wurde im September 1961 die Leitung eines unserer größten Büromaschinenwerke übertragen, das elf Millionen Mark Planschulden hatte. Unter dem neuen Werkleiter wurde dann der Plan bereits im ersten Quartal 1962 übererfüllt.

      Genosse L. hatte seine Tätigkeit damit begonnen, dass er jeden einzelnen Werkfunktionär zum Planrapport bat. Mehrere Kollegen schickte er fort mit der Bitte, morgen wiederzukommen, um knapper und konkreter vorzutragen. Dies wirkte wie eine Hiobsbotschaft auf die Leitungsmitglieder. Lediglich die beiden Kollegen K. und M. lächelten überlegen, denn sie waren bekannt wegen ihrer ‚guten Berichte‘.

      Gewappnet mit einem Packen Blätter, trat dann K. beim Werkleiter ein. Nach zehn Minuten schloss er die Tür wieder von außen. M. stürzte auf ihn zu und argwöhnte, der Werkleiter sei wieder unzufrieden gewesen; dabei habe sich doch der Kollege K. solche Mühe mit dem Bericht gegeben.

      „Das ist es ja“, klagte K., „Berichte gibt es genug, hat er gesagt, er möchte etwas über meine Arbeit erfahren.“

       (Erstmals veröffentlicht in „Hinter vorgehaltener Hand“, Verlag Neues Leben, Berlin, 1984)

       Berlin, Marx-Engels Platz 1986

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       Biehla, Fahnenappell, Datum nicht bekannt

      ERHARD SCHERNER: Konstantin Mugele

      Wie sehen das die Genossen in der Zentrale? Mugele ist zu einer Unterredung ins Hohe Haus geladen. „Guten Tag, Genosse“, begrüßt ihn Genossin Änne. Sie leitet die Kaderabteilung, der sich Mugele offenbaren soll. „Nun lernen wir dich einmal kennen, wo doch schon Gutes von dir zu hören war. In unsern Unterlagen fehlst du, hattest keine Funktion im Partei- und Staatsapparat, hast keine Parteischule besucht, auch nicht auf Kreisebene – wie sollen wir da von dir wissen?“

      Genossin Änne erhebt sich von ihrer Schreibtischbarriere und bittet ihren Gast an ein Tischchen. Konstantin sitzt einer Frau in den 60zigern gegenüber, einer freundlichen, halb mütterlich, halb gestreng. „Wie bist du zu uns gestoßen?“, fragt sie. – Ui, die Antwort wäre ein Roman, denkt Konstantin. Sollte er vom Leben am Rand des Scheunenviertels berichten? Vom Krieg? Sollte er Heinrich Heine und Carl von Ossietzky nennen? Worauf lief das hinaus? „Im Prenzlauer Berg habe ich die neu entstandenen Parteien in ihren Versammlungen erlebt“, kürzt er ab. „Da war ich siebzehn. Richtig gut gefielen mir die Liberalen mit Papa Külz. Die hatten die geschmackvollsten Plakate. Alle mit dem Thema Freiheit. Das gefiel mir. Doch im Stadtbezirk? Zu den Gewerbetreibenden passte ich nicht. Ging auch noch zur Schule. Eingeprägt hatte sich mir, dass in der finsteren Zeit