Die chinesische Kreuzigung. Und andere Schauergeschichten
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Inhaltsverzeichnis
Der letzte Wille der Stanislawa d’Asp
Hanns Heinz Ewers … und kein Ende.
Die Tomatensauce
Das erste Mal: vor fünf Wochen bei der Corrida, als der schwarze Stier von Miura den kleinen Quinito durch den Arm stieß –
Und wieder am nächsten Sonntage und am folgenden – bei jedem Stierkampfe traf ich ihn. Ich saß vorne, unten in der ersten Reihe, um Aufnahmen zu machen; sein Abonnementsplatz war neben dem meinen. Ein kleiner Mann, in rundem Hütchen und schwarzem englischen Pfaffenrock. Blass, bartlos, eine goldene Brille auf der Nase. Und noch etwas: ihm fehlten die Augenwimpern.
Gleich wurde ich aufmerksam auf ihn. Als der erste Stier den braunen Klepper auf die Hörner nahm und der lange Picador schwerfällig herabfiel. Als die Schindmähre mühsam vom Boden aufsprang, davontrabte mit aufgerissenem Leibe, hineintrat, mit den Beinen sich verwickelte in die eigenen blutigen Eingeweide, die lang herunterhingen und über den Sand schleiften. Da hörte ich neben mir einen leichten Seufzer – so einen Seufzer – der Befriedigung.
Wir saßen den Nachmittag zusammen, sprachen aber kein Wort. Das hübsche Spiel der Banderilleros interessierte ihn wenig. Aber wenn der Espada seine Klinge dem Stier in den Nacken stieß, dass der Griff wie ein Kreuz sich über den mächtigen Hörnern erhob, dann griff er mit den Händen nach der Rampe, bog sich weit hinüber. Und die Garocha – das war ihm die Hauptsache. Wenn das Blut in armdickem Strahle aus der Brust des Gaules herausspritzte, oder wenn ein Chulo dem tödlich verwundeten Tiere mit dem kurzen Dolche den Gnadenstoß in das Hirn gab, wenn der rasende Stier die Pferdekadaver in der Arena zerfetzte, mit den Hörnern in den Leibern herumwühlte – dann rieb sich dieser Mann leise die Hände.
Einmal fragte ich ihn: »Sie sind ein warmer Anhänger des Stierkampfes – ein Aficionado?«
Er nickte, aber sprach kein Wort; er wollte im Schauen nicht gestört sein.
Granada ist nicht so groß, so erfuhr ich bald seinen Namen. Er war der Geistliche der kleinen englischen Kolonie; seine Landsleute nannten ihn stets den »Popen«. Man nahm ihn augenscheinlich nicht für voll, niemand verkehrte mit ihm.
***
An einem Mittwoch besuchte ich den Hahnenkampf. Ein kleines Amphitheater, kreisrund, mit aufsteigenden Bänken. In der Mitte die Arena, gerade unter dem Oberlicht. Pöbelgeruch, Kreischen und Speien – es gehört ein Entschluss dazu, da hineinzugehen. Zwei Hähne werden hineingebracht, sie sehen aus wie Hühner, da man Kamm und Schwanzfedern ihnen abgeschnitten. Sie werden gewogen, dann aus den Käfigen genommen. Und sie fahren aufeinander los, ohne Besinnen. Die Federn stäuben umher: Immer wieder fliegen die beiden Tiere aufeinander, zerfleischen sich mit den Schnäbeln und Sporen – ohne einen Laut. Nur das Menschenvieh ringsumher johlt und schreit, wettet und lärmt. Ah, der Gelbe hat dem Weißen ein Auge ausgehackt, pickt es vom Boden auf und frisst es! Die Köpfe und Hälse der Tiere, längst zerpflückt, wiegen sich wie rote Schlangen auf den Leibern. Keinen Augenblick lassen sie voneinander, purpurn färben sich die Federn; kaum erkennt man die Formen mehr, wie zwei blutige Klumpen zerhacken sich die Vögel. Der Gelbe hat beide Augen verloren, er hackt blind in der Luft herum und in jeder Sekunde fährt der Schnabel des andern scharf auf seinen Kopf. Endlich sinkt er um; ohne Widerstand, ohne einen Schmerzensschrei erlaubt er dem Feinde, sein Werk zu vollenden. Das geht nicht so rasch; fünf, sechs Minuten noch gebraucht der Weiße dazu, selbst von hundert Sporenhieben und Bissen zu Tode ermattet.
Da sitzen sie herum, meinesgleichen, lachen über die ohnmächtigen Schnabelhiebe des Siegers, rufen ihm zu und zählen jeden neuen Biss – der Wetten wegen.
Endlich!
Dreißig Minuten, die vorgeschriebene Zeit, sind vorbei, der Kampf zu Ende. Ein Kerl erhebt sich, der Besitzer des siegenden Hahnes, hohnlachend schlägt er mit seinem Knüppel das Tier des Gegners tot: Das ist sein Vorrecht. Und man nimmt die Tiere, wäscht sie an der Pumpe und zählt die Wunden – der Wetten wegen.
Da legte sich eine Hand auf meine Schulter.
»Wie gehts?«, fragte der Pope. Seine wimperlosen Wasseraugen lächelten zufrieden hinter den breiten Gläsern.
»Nicht wahr, das gefällt Ihnen?«, fährt er fort.
Ich weußte im Augenblick nicht, meinte er das im Ernst? Seine Frage schien mir so maßlos beleidigend, dass ich ihn anstarrte, ohne eine Antwort zu geben.
Aber er missverstand mein Schweigen, nahm es für Zustimmung; so überzeugt war er.
»Ja«, sagte er ruhig und ganz langsam, »es ist ein Genuss.«
Wir wurden auseinandergedrängt, man brachte neue Hähne in die Arena.
***
Ein paar Tage später war ich beim englischen Konsul zum Tee geladen. Ich war pünktlich, der erste der Gäste.
Ich begrüßte ihn und seine alte Mutter, da rief er: »Ich bin froh, dass Sie so früh kommen, ich möchte ein paar Worte mit Ihnen sprechen.«
»Ich stehe ganz zur Verfügung«, lachte ich.
Der Konsul zog mir einen Schaukelstuhl heran, dann sagte er merkwürdig ernst: »Ich bin weit davon entfernt, Ihnen Vorschriften zu machen, lieber Herr! Aber wenn Sie die Absicht haben sollten, länger hierzubleiben und in der Gesellschaft, nicht nur in der englischen Kolonie, zu verkehren, so möchte ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat geben.«
Ich war gespannt, worauf er hinauswollte.
»Und der wäre?«, fragte ich.
»Sie sind öfters mit unseren Geistlichen gesehen worden –«, fuhr er fort.
»Verzeihung!«, unterbrach ich ihn. »Ich kenne ihn sehr wenig. Vorgestern hat er zum ersten Mal einige Worte mit mir gewechselt.«
»Um so besser!«, erwiderte der Konsul. »Ich möchte Ihnen also raten, diesen Verkehr, wenigstens öffentlich, so viel wie möglich zu meiden.«
»Ich danke Ihnen, Herr Konsul«, sagte ich. »Ist es indiskret, nach den Gründen zu fragen?«
»Ich bin Ihnen wohl eine Erklärung schuldig«, antwortete er, »obwohl ich nicht weiß, ob sie Sie befriedigen wird. Der Pope – Sie wissen, dass man ihm diesen Spitznamen gab?«
Ich