LUNATA
Das Fest auf Solhaug
Schauspiel in drei Akten
© 1855 Henrik Ibsen
Originaltitel Gildet paa Solhoug
Aus dem Norwegischen von Christian Morgenstern
Umschlagbild Jules Breton
© Lunata Berlin 2020
Inhalt
Vorrede Zur Zweiten Ausgabe
»Das Fest auf Solhaug« habe ich in Bergen geschrieben, im Sommer 1855, also ungefähr vor 28 Jahren.
Das Stück wurde daselbst den 2. Januar 1856 in einer Festvorstellung zur Erinnerung an den Stiftungstag der norwegischen Bühne zum ersten Mal aufgeführt.
Ich war damals Instruktor am Bergener Theater und leitete so die Einstudierung meines Stückes selber. Es erfuhr eine vorzügliche, in seltenem Maße stimmungsvolle Darstellung. Mit Lust und Hingebung wurde es gespielt und ebenso auch aufgenommen. »Die Bergener Lyrik«, die, wie verlautet, die letzten politischen Wahlen da oben entschieden haben soll, war an jenem Theaterabend in dem vollen Hause ungewöhnlich stark vertreten. Die Vorstellung endete mit zahlreichen Hervorrufen des Verfassers und der Schauspieler. Später am Abend brachte mir die von einem großen Teil des Publikums begleitete Kapelle ein Ständchen vor meinen Fenstern. Ich glaube beinahe, ich ließ mich dazu hinreißen, eine Art Ansprache an die Versammlung zu halten; jedenfalls – das weiß ich – fühlte ich mich sehr glücklich.
Ein paar Monate später wurde »Das Fest auf Solhaug« in Christiania aufgeführt. Auch dort wurde es vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen, und Björnson schrieb den Tag nach der ersten Aufführung im »Morgenblatt« einen jugendlich warmen, liebenswürdigen Artikel darüber. Es war eigentlich kein Bericht, auch keine Kritik – es war vielmehr eine stimmungsreiche, freie Phantasie, eine dichterische Improvisation über das Stück und über die Vorstellung.
Aber dann kam die richtige Kritik, besorgt von den richtigen Kritikern.
Wie wurde man zu jener Zeit – ich meine in den Jahren von 1850 bis etwa 1860 – in Christiania ein richtiger Literaturkritiker und namentlich ein richtiger Theaterkritiker?
Ja, das ging in der Regel so zu: Nach einigen vorbereitenden Übungen im »Gesellschafsblatt« und nach häufigerer Teilnahme an den Diskussionen, die nach den Theaterabenden in Treschows Café oder »bei Ingebret« gepflogen wurden, begab sich der werdende Kritiker in Johann Dahls Buchhandlung und ließ sich aus Kopenhagen ein Exemplar von J. L. Heibergs »Prosaschriften« kommen, die, wie er hatte sagen hören, eine »Über das Vaudeville« betitelte Abhandlung enthielten. Diese Abhandlung wurde dann gelesen, in grübelndem Geiste erwogen und vielleicht auch zum Teil verstanden. Durch jene Schriften wurde man des weiteren mit einer Polemik bekannt, die Heiberg seinerzeit mit Professor Oehlenschläger und dem Dichter Hauch in Sorö geführt hatte. Ebenfalls bei dieser Gelegenheit erfuhr man, daß J. J. Baggesen (der Verfasser der »Gespensterbriefe«) schon früher einen ähnlichen Feldzug gegen den großen Dichter von »Axel und Valborg« und »Hakon Jarl« eröffnet hatte.
Vieles andere noch, was einem Kritiker nützlich zu wissen war, ließ sich diesen Schriften entnehmen. Man lernte z. B. daraus, daß ein rechter Kritiker im Namen des Geschmacks verpflichtet ist, an jedem Hiatus Anstoß zu nehmen. Wurde in den Versen hier und da ein solches Ungeheuer angetroffen, so konnte man sicher sein, daß die jungen kritisierenden Hieronymusse Christianias, ganz wie Holbergs Hieronymus, ihr »Potztausend, die Welt steht nicht mehr bis Ostern!« ausriefen.
Und dann hatte damals die Kritik der norwegischen Hauptstadt noch eine besondere Eigentümlichkeit, über deren Ursprung ich mir lange den Kopf zerbrochen habe. Unsere Kritiker pflegten nämlich jedesmal, wenn ein neu auftretender Schriftsteller ein Buch herausgab oder ein kleines Theaterstück auf die Bühne brachte, in unbändigen Zorn zu geraten und sich zu gebärden, als ob durch die Herausgabe des Buches oder die Aufführung des Stückes ihnen und den Zeitungen, für die sie schrieben, eine blutige Beleidigung zugefügt würde. Wie gesagt, ich habe lange über dieses sonderbare Benehmen nachgegrübelt. Endlich wurde mir die Sache klar. Beim Lesen der dänischen »Monatsschrift für Literatur« nämlich wurde ich darauf aufmerksam, daß seinerzeit den alten Staatsrat Molbech ein schwerer Zorn zu überkommen pflegte, wenn in Kopenhagen ein junger Dichter ein Buch herausgab oder ein Schauspiel auf die Bühne brachte.
So, oder doch ungefähr so, war der Gerichtshof beschaffen, der sich nun in der Tagespresse vornahm, »Das Fest auf Solhaug« vor die Schranken der Kritik zu stellen. Er war zum größten Teil aus jungen Leuten zusammengesetzt, die im Betrachte der Kritik gemeinhin auf Borg lebten. Ihre kritischen Gedanken waren längst von anderen gedacht und ausgesprochen, ihre Meinungen längst anderswo formuliert worden. Geborgt war ihre ganze ästhetische Theorie; geborgt war ihre ganze kritische Methode; geborgt war von Anfang bis Ende, im Großen wie im Kleinen die polemische Taktik, deren sie sich bedienten. Ja sogar ihre Gemütsstimmung, sie war geborgt. Geborgt, geborgt war alles. Das einzige Originale dabei war, daß sie das Geborgte immer und ewig verkehrt und zur Unzeit anbrachten.
Daß dieses Kollegium, dessen Mitglieder ihr Dasein von Anlehen fristeten, bei mir als Dichter etwas Ähnliches voraussetzen zu müssen glaubte, kann niemand wundernehmen. Eine Zeitung oder zwei da oben, möglicherweise auch mehr, fanden denn auch ganz prompt heraus, daß ich dies und das Henrik Hertzens Schauspiel »Svend Dyrings Haus« entlehnt hätte.
Diese kritische Behauptung ist grundlos und unzutreffend. Offenbar hat die Anwendung des Versmaßes der Kaempeviser in beiden Stücken sie veranlaßt. Aber bei mir ist der sprachliche Ton ganz anders als bei Hertz; die Ausdrucksweise hat in beiden Stücken ein ganz verschiedenes Klanggepräge. Über dem Rhythmischen in meinem Stücke weht eine leichte Sommerluft; über dem Rhythmischen bei Hertz lastet es wie Herbstwetter.
Auch was die Charaktere, die Handlung oder überhaupt den tatsächlichen Inhalt angeht, so findet sich keine andere oder doch keine größere Ähnlichkeit als die, die notwendig daraus folgt, daß der Stoff beider Stücke dem engen Vorstellungskreis der Kaempeviser entnommen ist.
Mit ebenso viel oder wohl noch mit größerem Recht könnte man behaupten, Hertz habe in »Svend Dyrings Haus« hier und da etwas, und zwar gar nicht so wenig, Heinrich von Kleists »Käthchen von Heilbronn« entlehnt, das zu Beginn dieses Jahrhunderts geschrieben worden ist. Käthchens Verhältnis zum Grafen Wetter vom Strahl deckt sich in allem Wesentlichen mit Ragnhilds Verhältnis zum Ritter Stig Hvide. Ebenso wie Ragnhild wird auch Käthchen von einer rätselhaften, unerklärlichen Macht getrieben, dem Manne, den sie liebt, auf allen seinen Wegen zu folgen, ihm heimlich nachzuschleichen, sich willenlos in seiner Nähe hinzulegen und zu schlafen, mit Naturnotwendigkeit zu ihm zurückzukehren, so oft sie auch fortgejagt wird. Auch sonst greift das Übernatürliche bei Kleist wie bei Hertz noch auf mancherlei Weise ein.
Aber zweifelt jemand daran, daß es mit einigem guten oder bösen Willen nicht möglich wäre, in der noch älteren dramatischen Literatur ein Schauspiel aufzutreiben, von dem behauptet werden könnte, ihm habe Kleist Verschiedenes für sein »Käthchen von Heilbronn« entnommen? Ich zweifle jedenfalls nicht daran. Doch dergleichen nachzuweisen wäre müßig. Das, was ein Kunstwerk zum geistigen Eigentum seines Urhebers macht, ist der Stempel seiner eigenen Persönlichkeit, den er dem Werke aufdrückt. Ich meine deshalb, daß trotz der angedeuteten Ähnlichkeiten »Svend Dyrings Haus« ebenso unbestritten und ausschließlich ein Originalwerk Henrik Hertzens, wie »Käthchen von Heilbronn« ein Originalwerk Heinrich von Kleists ist.
Dasselbe Recht nehme ich