Wenn Löwen weinen. Mick Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mick Schulz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839270103
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      Mick Schulz

      Wenn Löwen weinen

      Kriminalroman

      Impressum

      Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

      Nenn es Schicksal (2018), MS Mord (2018), MS Mord – tödliches Nordlicht (2019), MS Mord – baltische Angst (2020), Wenn Löwen weinen (2021)

      Personen und Handlung sind frei erfunden.

      Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

      sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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      Alle Rechte vorbehalten

      Lektorat: Sven Lang

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von: © Impala / stock.adobe.com

      ISBN 978-3-8392-7010-3

      Widmung

      Der deutsch-namibischen Freundschaft

      und meinem Liebling »Löwenherz« gewidmet

      Prolog

      Fast eine Stunde hatte er diesmal gebraucht. Die Leuchtziffern seiner Armbanduhr zeigten drei Minuten vor halb fünf. Auf der Kurt-Schumacher-Straße begann sich der Verkehr zu regen, die ersten Sattelschlepper überquerten die Oker. Doch bis zu ihm war die Morgendämmerung noch nicht gedrungen. Schwarz wie im Höllenschlund war es hier unten. Selbst das schreiende Pink durchbrach nicht diese Dunkelheit, die ihn zwang, sich fast ausschließlich an seiner inneren Vorstellung zu orientieren. Dicht neben ihm standen die Farbdosen aufgereiht. Jede hatte ihren Platz, er fand sie blind und konnte sie mit ein paar Handgriffen verstauen, wenn Gefahr drohte.

      Natürlich hatte er den Ort bei Tageslicht inspiziert, sogar mehrmals. Er wusste genau, wo er ansetzen musste, um die Wand Zug um Zug zu erobern, sein Thema unmissverständlich und unverwechselbar auf die Fläche zu bannen. Wie im Fieber arbeitete er. Er liebte den Geruch des Lacks aus den Sprühdosen, er stachelte ihn an, nicht weniger als die Erwartung auf die nächste Schlagzeile. Der Moment, wenn er am Morgen danach die Zeitung aufschlagen und lesen würde: »Straßenherz hat wieder zugeschlagen«. Das war mehr als ein Kribbeln, das war wie ein Orgasmus …

      Rascheln ganz in der Nähe. Er hatte die Taschenlampe im Anschlag, für den äußersten Fall steckte auch eine Dose Pfefferspray in seiner Gesäßtasche. Hier unter der Brücke trieb sich allerhand Gesindel herum. Meistens waren es aber Ratten, Katzen und Füchse auf ihren nächtlichen Touren. Er vermied es, die Lampe zu benutzen, ein noch so kurzer Flash könnte ihn verraten. Sein Risiko war gestiegen. Seit geraumer Zeit hatte er das Gefühl, dass man ihm auf der Spur war, als schaute ihm jemand bei der Arbeit über die Schultern. Vielleicht waren es nur die Nerven. Vielleicht hielt er dem Druck nicht mehr stand. Wenn sie ihn aufspürten, dann wäre nicht nur das Geheimnis seiner Identität entzaubert, dann wäre er seinen gut dotierten Posten los und seine Zukunft ruiniert.

      Das Rascheln drang aus den Sträuchern am Ufer der Oker zu ihm herüber, ein paar Schritte von ihm entfernt. Er hielt den Atem an, seine rechte Hand umschloss fest die Taschenlampe. Was folgte, war ein klägliches Piepsen, begleitet von einem leisen Knurren. Er starrte in die Finsternis, konnte nichts erkennen, aber offenbar war der nächtliche Beutezug eines Jägers erfolgreich ausgegangen.

      Während über ihm dröhnend ein schwerer Sattelschlepper in Richtung Kennedy-Platz rollte, entspannte er. Der beißende Geruch von Urin stieg ihm wieder in die Nase, und erneut kroch ein Schauer über seinen Rücken. Doch er durfte sich nicht ablenken lassen. Er war noch nicht fertig, musste sich konzentrieren. Es fehlte nicht mehr viel, dann war dieses düstere Loch ein Kunstwerk. Er entschied sich für Rot, flammendes Rot brachte die klamme, stinkende Betonwand zum Glühen …

      Ein Knacken im Unterholz, ganz nah. Ohne zu überlegen, schaltete er die Taschenlampe an. Der Lichtstrahl traf auf ein Gesicht. Er sah zwei große, lauernde Augen und griff sofort an seine Gesäßtasche. Wo war die Dose mit dem Pfefferspray?

      1. Ansichtssache

      Der Kriminalrat hieß Senge und wartete unten vor der Haustür auf sie. Eine freundliche Geste, wenn einen der Chef mit dem Wagen abholte. Insoweit fing der Tag, ihr erster bei der Mordkommission Braunschweig, gut an. Während sie den letzten Schluck Kaffee aus ihrer grünen Jumbotasse trank, blieb Hellas Blick an den sonnigen Balkonen von gegenüber hängen. Sie hatte die Schattenseite erwischt. Wahrscheinlich hatten die zwei Zimmer, Küche, Diele, Bad mit knarzenden Böden und ramponierten Jugendstil-Fliesen vor allem deshalb auf sie gewartet. Was tröstete, war die Lage. Vom östlichen Ring aus ließ sich das Kommissariat Mitte gut erreichen, der Stadtpark lag fußläufig, und man hatte Ruhe vom Lärm der Hauptstraßen.

      Fünf Minuten über die Zeit, ihre Handflächen fühlten sich feucht an. »Kopf hoch, Mädel!« So oder ähnlich hätte ihr Vater ihr jetzt Mut gemacht. In dem Moment vermisste sie ihn unbeschreiblich, ihren Dad, wie sie ihn genannt hatte, seit sie sechzehn war. Damals fand sie alles Deutsche »spießig« und alles Amerikanische »cool«, bis sie Billy kennenlernte und mit ihm in eine Ehe hineinschlidderte, die überhaupt nicht cool gewesen war …

      Ein schrilles Geräusch schraubte sich in ihre Ohrmuscheln. Ob sie sich irgendwann an die Türklingel gewöhnen würde? Senge schien jedenfalls Sehnsucht nach ihr zu haben. Vor dem Garderobenspiegel fuhr sie sich noch einmal durchs Haar. Beim Friseur nebenan hatte sie sich Strähnchen für den ersten Tag machen lassen.

      Gegenüber auf der anderen Straßenseite stand ein Einsatzfahrzeug der neuesten Baureihe. Aus dem geöffneten Fahrerfenster blickte sie jemand an, dessen Gesicht sie von Fotos aus dem Internet her kannte. Bislang hatten sie nur telefoniert. Wie der erste Eindruck von ihr ausgefallen war, konnte sie dem stoischen Grinsen nicht entnehmen. Aber sie würde es gleich herauszufinden. Als sie die Straße überquert hatte, sprach sie den Kriminalrat durchs Fenster an.

      »Ich hoffe, der Anblick entspricht der Aktenlage. Melde mich zum Dienst, Chef. Name: Helena Budde, Alter: achtunddreißig, Größe: ein Meter einundsechzig, Gewicht …«

      »Halt! Lassen Sie mich doch auch einmal«, stoppte er sie schmunzelnd. »Was sind schon Zahlen? Alles Ansichtssache.« Könnte es sein, dass sich der Mann einen Rest Taktgefühl bewahrt hatte? Nicht einfach in dem Beruf. Oder er hatte bereits gewusst, dass ihr Gewicht nicht mehr ganz zur Größe passte …

      »Jetzt steigen Sie schon ein, die Kollegen haben heute noch anderes zu tun, als die Neue zu beschnuppern«, sagte er gut gelaunt. Vom Beifahrersitz aus gesehen entsprach sein Profil dem eines Hungerhakens, und er roch